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Farbe für einen harten Kiez

Kunst ist hier ein schwieriges Feld, Kunst mit sozialen Vorsätzen noch viel mehr. Mit kreativen Mitteln kümmert sich das Projekt „Urban dialogues“ um alternatives Quartiersmanagement und vor allem die vielen leeren Läden im Wrangelkiez

Nur manchmal gehen Kunst und soziale Anliegen glückliche Verbindungen ein

von FRIEDERIKE GRÄFF

„Kunst ist etwas Schönes“, hat der Wirt in der Fußballkneipe Türkspor freundlich, aber doch sehr allgemein gesagt. Er kennt den Laden von „Urban dialogues“ vom Sehen, aber hineingegangen ist er noch nicht. „Man kann ja nicht einfach reingehen und sagen: Erklären Sie mir das“, findet er, außerdem fehle ihm die Zeit. Kunst ist ein schwieriges Feld im Wrangelkiez, und Kunst mit sozialen Vorsätzen noch viel schwieriger.

Der Laden von „Urban dialogues“ findet sich in der Falckensteinstraße, gleich um die Ecke der Fußballkneipe. Dort arbeiten die fünf Organisatoren an gelb gestrichenen Tapeziertischen, umgeben von Fotos ihrer Projekte: „Kunstkette“, „Kulturenküche“ und „Ladenkette“. Zuerst kam die Kunst in den Wrangelkiez. Damit seine Bewohner ihn einmal anders wahrnehmen – und darüber auch sich selbst. Stefan Horn, 33, ist künstlerischer Leiter von „Urban dialogues“. „Künstlerischer Leiter“ klingt nach Hemd und Boutique in Mitte, aber er trägt Pulli und Jeans und verbreitet vage den Eindruck praktischen Geschicks. Gelegentlich mischen sich formelle Einsprengsel in seinen Bericht, dann spricht er neben anderem von „alternativer Urtümlichkeit“ im Wrangelkiez: „Eine Klientel von Leuten, die mal mit Idealen unterwegs waren und auf der Strecke geblieben sind.“ Das andere sind die Probleme: die Alkoholiker, die sich vor Kaiser’s oder am Briefkasten versammeln. Oder die deutschen Mittelständler, die ihre Kinder wegen des hohen Ausländeranteils nicht mehr in die Schulen vor Ort schicken oder ganz wegziehen. Oder die hohe Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen.

„Der Senat für Stadtentwicklung kann die Probleme hier auch nicht lösen, deshalb hat er sie weiterdelegiert“, sagt Horn. Er sagt es auf jene zart gedehnte Art, die verrät, dass er lange Umgang mit Theaterleuten hatte. „Wir versuchen dann mit unseren künstlerischen Mitteln, die Probleme sichtbar werden zu lassen.“ Das klingt sehr abstrakt, vielleicht zu abstrakt für einen Ort wie den Wrangelkiez. An der Straßenecke jagt ein Mann seine Frau, vielleicht auch seine Tochter. Sie schreit ihm aus sicherer Entfernung etwas entgegen, er stürzt auf sie zu. Die junge Frau wechselt die Straßenseite, ruft wieder, woraufhin er versucht, eine Holzlatte aus einer Baumeinfassung zu reißen. Eine Gruppe Halbwüchsiger johlt. Stefan Horn schaut kaum hin; der Wrangelkiez ist eine harte Schule.

Manchmal, in guten Stunden, gehen Kunst und soziales Anliegen eine Verbindung ein, die glückt. Eine Verbindung, die freiwillig und beinahe beiläufig erscheint. Für Horns letzte Installation „Elf“ hat der Journalist Carsten Kramer mit elf zufällig ausgesuchten Personen aus dem Wrangelkiez gesprochen. Deren Porträtfotos hängen an der Wand, darunter stehen schlichte Holzkisten als Sitzgelegenheiten, und Kopfhörer erzählen die Geschichten der Fotografierten. „Eh Mann, Alter, ich will erst mal meine erste LP rausbringen“, sagt Furad mit dem schwarzen Käppi und dem Oberlippenbart. Furad ist der kommende HipHopper in der Türkei, aber aufgewachsen ist er im Wrangelkiez. Früher hätten Gangs die Kleinen malträtiert, „das war schon ein bisschen hässlich“, aber diese Zeiten seien vorbei. „Die Leute wurden verheiratet oder kamen in den Knast“, sagt er, und außerdem kämen von denen nur noch Sprüche. Rechts daneben hängt das Foto der Frau vom Blumengeschäft, die vom ersten Mai erzählt, damals, als die Demonstranten Steine in ihr Fenster warfen. Sie habe die Unordnung im Fenster nicht aufgeräumt, das sagt sie mehrmals, damit sich derjenige, der den Stein geworfen hat, daran erinnere. „Denn wenn so etwas Penny trifft, tut es niemandem direkt weh, uns aber schon.“ Dann hört man im Hintergrund ein Motorrad knatternd vorbeifahren, und die Blumenfrau sagt, dass es nicht leicht sei mit den Blumen heutzutage, denn die Leute hätten aufgehört, bei ihren Besuchen Blumen mitzubringen.

Leila ist elf Jahre alt und hat Sommersprossen und feuerrote Haare. „Die Stadt hat mich hart gemacht“, sagt sie, der Interviewer stockt und fragt: „Hart?“ – „Ich mag den Lärm hier, der ist total schön“, sagt Leila und versucht sich an ein besonderes Erlebnis zu erinnern. „Ich war auf einer Demo und habe mit Schneebällen auf Bullen geworfen“, sagt sie schließlich.

Die junge Frau im grünen Anorak guckt nach ihrer Tochter, die droht den kleinen Rasenplatz an der Schlesischen Straße zu verlassen. „Urban dialogues“, davon hat sie gehört, aber in der Galerie war sie nur ganz kurz. Gefallen hat es ihr nicht. „Ich finde, dass es Pseudokunst ist, und mit dem Kiez hier hat es nichts zu tun.“ Dann putzt sie ihrem Kind die Nase und sagt, dass die Idee, hier Kunst zu machen, schon okay sei. „Aber nicht mit Leuten von außen.“ Und die „Kulturenküche“, das zweite Projekt von „Urban dialogues“? Die junge Mutter schnaubt. „Da kommen doch nur die Möchtegern-Intellektuellen.“

Heidi Walter ist guten Willens. Zur „Kulturenküche“ sollen alle kommen. Deshalb organisiert die ehemalige Museumspädagogin Finger-Food mit der Mischung Türkei-Bayern-Senegal. Und sucht ein Thema aus, zu dem alle Gäste einen Gegenstand mitbringen sollen. Das nächste Mal wird über Hochzeit gesprochen, dazu sollen die Leute etwas über ihre Mitbringsel erzählen. „Wir sind nicht das Völkerkundemuseum“, sagt Heidi Walter mit einem Hauch Bayerisch in der Stimme. Und erzählt, dass der Koch beim zweiten Mal auch seine Freunde mitgebracht habe.

Die Menschen von „Urban dialogues“ freuen sich über solch kleine Erfolge. Vielleicht ist es das Wissen um die Beschwerlichkeit der Anfänge. Die Einsicht in die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Vielleicht ist es auch die Erfahrung, dass ihr Dialog nur die Galerie-Eröffnungs-Klientel, die Möchtegern-Intellektuellen der zornigen Mutter interessiert.

„Sehr sinnvoll“, sagt der ägyptische Apotheker in der Lukas-Apotheke und lächelt hinter seiner silbernen Brille. Alles sei gut, um die Leute im Kiez zusammenzubringen. Den Laden in der Falckensteinstraße kennt er vom Vorbeigehen. „Vielleicht spricht die Aufmachung nicht alle an“, sagt er vorsichtig. Dann erwacht der Ladenbesitzer in ihm, und er sagt, dass man etwas gegen die leer stehenden Läden tun solle. Ein neuer Naturkostladen könne hier sicher überleben. Dann kommt der nächste Kunde.

Vor den Fotos mit den 35 leer stehenden Geschäften in der „Ladenkette“, dem dritten Projekt von „Urban dialogues“, steht Sybille Kraut-Eppich und zeigt auf eine schmutzigbraune Auslage mit dem Schild „Trendy Army Store“. Dort soll bis Dezember eine Installation gezeigt werden. „Man darf sich nicht an Zahlen festbeißen“, sagt sie.

Die Arbeit der „Ladenkette“ sei ein langsamer Prozess, der Umgang mit den Vermietern der leer stehenden Läden schwierig. Drei habe man dauerhaft vermitteln können, drei zumindest übergangsweise. Sybille Kraut-Eppich gehört, nach Brille und Anziehsachen zu urteilen, zu den Überbleibseln der Wrangelkiez-Mittelschicht. Bei Sprachproblemen hilft sie bei den Gesprächen mit den Vermietern.

Manchmal kommen auch verkrachte Künstler zur Ladenbörse, betrunken, die eigentlich eine Wohnung suchen. Sybille Kraut-Eppich muss sie dann hinauskomplimentieren. „Das ist eine andere Form der Sozialarbeit, die hier nicht geleistet werden kann“, sagt sie.

In den Fenstern der Geschäfte kleben gelbe Aufkleber. „Kein Müll. Und auch nicht anderswo.“ Im Fenster von „Urban dialogues“ klebt auch ein solcher Aufkleber. Stefan Horn zeigt darauf und sagt, dass sie es anders machen wollen. Ohne erhobenen Zeigefinger. Deshalb haben sie die Kinder aus dem Kiez gebeten, Fundstücke zu sammeln, und aus den Fotos ein Memory gemacht. Gelbe Eislöffel, ein Schnuller, ein blauer Pullover und ein bunter Becher. Fröhliche Bilder.

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