„Der ‚gerechte Krieg‘ gehört ins Mittelalter“

Der EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock ist gegen einen deutschen Militäreinsatz in einem Krieg, „über den ich nichts weiß als Propaganda“

taz: Herr Kock, würden Sie Ihre Kinder als Soldaten nach Afghanistan schicken?

Manfred Kock: Das müssten meine Kinder entscheiden. Schicken würde ich sie nicht.

Ist es denn richtig, dass die Bundesregierung 3.900 Soldaten in den Krieg schicken will?

Ich kann es nicht sicher sagen, weil ich nicht weiß, was die Soldaten machen sollen, und ich weiß nichts über den Krieg als das, was uns die Propaganda mitteilt. Deshalb kann ich auch nicht sagen, ob der Krieg dem Terrorismus und dem Taliban-Regime ein Ende setzt.

Also müssen Sie konsequenterweise sagen: Dann nicht.

Ich persönlich habe tatsächlich so große Bedenken, dass ich einer Bereitstellung deutscher Soldaten für diesen Einsatz nicht zustimmen würde. Die Bundestagsabgeordneten, die die Entscheidung abzusegnen haben, verfügen möglicherweise über mehr Informationen. Aber wir als Bürger, die auf die Informationen, die uns die Medien vermitteln, angewiesen sind, können doch nicht die uneingeschränkte Solidarität erklären und alles kritiklos begleiten.

Und die Abgeordneten?

Die Abgeordneten sollen nach ihrem Gewissen entscheiden.

Aber Sie lehnen einen Einsatz ab. Haben Sie da nicht die Pflicht, Soldaten zu sagen: Zieht nicht in den Krieg?

Das muss jeder Soldat für sich entscheiden.

Lassen Sie die Soldaten nicht allein?

Eine Gewissensentscheidung muss jeder allein treffen. Wir geben doch keine amtlichen Verordnungen, sondern nennen nur Kategorien und Kriterien für eine Entscheidung.

Die USA sehen den Krieg als Selbstverteidigung. Wäre das dann ein gerechter Krieg?

Krieg ist nie gerecht, sondern ein äußerstes Mittel, um ein größeres Übel abzuwenden. Wenn man schon Krieg führt, muss er wenigstens die Voraussetzung schaffen, dass Frieden sich entwickeln kann. Aber die Kategorie des gerechten Krieges stammt aus dem Mittelalter. Wir dürfen sie nicht wieder hervorholen.

Die Politik der USA gründet sich auf: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Kann das ein Christ akzeptieren?

Das sehe ich nicht so. Vergeltung ist hier nicht das Ziel.

Aber nichts anderes machen die USA gerade.

Nein. Erklärtermaßen geht es darum, Terrorismus zu bekämpfen, der die Menschheit bedroht.

Die EKD hat nach dem Zweiten Weltkrieg erklärt: Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein. Gilt das noch?

Das gilt auch weiterhin. Das hat auch der Weltkirchenrat 1948 in Amsterdam formuliert: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Mit Krieg richtet der Mensch immer Schuld an. Wenn es zum Krieg kommt, ist immer schon politisch Entscheidendes versäumt worden. Nur so gerät man in eine Situation hinein, in der man militärische Gewalt möglicherweise als äußerstes Mittel einsetzen muss.

Der Antrag der Gegner des Einsatzes auf der EKD-Synode zitierte Dietrich Bonhoeffer. Die Kirche müsse nicht nur sagen, es dürfe eigentlich keinen Krieg geben, sondern auch: „Geh in diesen Krieg oder geh nicht in diesen Krieg.“ Was sagt denn nun die EKD?

Da sind wir gespalten.

Aber Gewalt kann auch für Christen legitim sein?

Ich glaube, dass man Terroristen das Handwerk legen muss. Und auch, dass gezielt militärische Mittel dafür eingesetzt werden können. Das Dilemma ist, dass wir nicht sehen können, ob sie sich tatsächlich gegen die Terroristen richten – und da haben ich und viele Christen Zweifel.

Was sehen Sie denn?

Wir sehen, dass ein Land angegriffen wird, dessen Machthaber Terroristen stützen, aber dessen Bevölkerung seit Jahren schon unendlich unter Krieg leidet. Deshalb verstehe ich alle, die sagen: Das darf nicht noch weitergetrieben werden.

Das Christentum beruft sich ja auf einen Pazifisten, der gesagt hat: Wenn man geschlagen wird, soll man die andere Wange hinhalten.

Dieses Zeichen aus der Bergpredigt muss jeder Mensch für sich verwirklichen. Aber dort, wo er Verantwortung für andere trägt, muss er einen Ordnungsrahmen anerkennen. In einer Welt, in der das Böse existiert, muss der Staat für Recht und Frieden sorgen, auch durch Androhung und Ausübung von Gewalt.

Also kann dieses Prinzip dem Staat egal sein?

Wir wissen ja, dass dieser Rat Jesu eine große Kraft ausübt. Denn Freiheit in der Welt ist sehr oft durch Gewaltlosigkeit entstanden. Ich denke an Mahatma Gandhi oder Martin Luther King.

INTERVIEW: BERNHARD PÖTTER