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Verfrorener Dialog der Generationen

Tausende Globalisierungskritiker und Friedensdemonstranten gehen gemeinsam auf die Straße – gegen WTO-Treffen und Afghanistankrieg. Die zufällig geschmiedete Allianz entdeckt dabei ihre politischen Gemeinsamkeiten

Christina Liedke hat sich für den Frieden zurechtgemacht. Die zierliche Arzthelferin aus Köpenick hat blauen Lidschatten aufgelegt, und so sorgfältig wie ihr Mund mit Konturenstift umrandet ist, so genau wählt sie ihre Worte: „Ich kann mich nicht hinter die Politik dieser Regierung stellen. Deshalb möchte ich mich hier optisch positionieren.“

Am pelzbesetzten Kragen ihrer Wildlederjacke steckt der Metallbutton, der das neue Bündnis optisch positionieren soll – den Zusammenschluss der traditionellen Friedensbewegung mit den jungen Globalisierungskritikern: Das weißblaue Peace-Zeichen aus den 80er-Jahren, neu ist der Slogan „Solidarität und Gerechtigkeit weltweit“.

Es ist Samstagnachmittag. Dicht gedrängt stehen tausende auf dem Hermannplatz, bereit zum Protest – gegen den Afghanistankrieg, gegen den Einsatz von Bundeswehrsoldaten und gegen die Wirtschaftspolitik der Welthandelsorganisation (WTO). „Die Politik der WTO ist ebenso fatal wie der Krieg, sie bereitet den Nährboden für Terrorismus“, sagt Christina Liedke, dann macht sie sich auf den Weg zum Frankfurter Tor – zwischen bemützten Rentnern, Familien, Megafon-bewehrten Linksruck- und Arbeitermacht-Aktivisten und langhaarigen Bongo-Trommlern.

Wie Liedke glauben hier viele an die Wechselwirkung zwischen globalisierter Wirtschaftspolitik und Terrorismus. Naturschutz-Student Jan Noack etwa, der „in erster Linie wegen des Krieges“ mitläuft, aber trotzdem sagt: „In einem entfesselten Kapitalismus ist Krieg die Konsequenz. Es geht immer darum, neue Märkte zu schaffen.“

Direkt hinter den beiden Polizeiwannen schreitet die alte Bewegung. Hans-Peter Richter vom Deutschen Friedensrat, während ungezählter Mahnwachen ergraut, hält die rechte Ecke des Leittransparentes. Wenige Meter hinter ihm laufen Schüler. Nicht zufällig. Die Veranstalter haben sie per Lautsprecher an die „Spitze des Zuges“ beordert. Dorthin, wo die Fotografen und Kameraleute ihre Bilder machen. Die Marschordnung als Symbol.

Der Lautsprecherwagen spielt Reggae und Chansons. Eine Verkäuferin steht auf dem Bürgersteig am Kottbusser Damm und wippt mit. Gleich muss sie wieder Billigblusen in ihrer Boutique verkaufen, die „Big Deal“ heißt. Für sie ist es willkommene Abwechslung, ein paar Minuten gegen die WTO zu sein.

Studenten haben Dollarnoten kopiert und sich die Papierscheine vor den Mund geklebt. Hausfrauen bleiben mit vollem Fahrradkorb stehen, viele Passanten gehen spontan ein Stück mit. So scheint die Zahl von „insgesamt 10.000 Teilnehmern“ realistisch, die Mitveranstalter Sascha Kimpel nennt. Wahrscheinlicher zumindest als die 2.500, die die Polizei gezählt haben will.

Auf der Abschlusskundgebung fordert der Politikwissenschaftler Peter Grottian die Soldaten auf, den Dienst zu verweigern. Die Gewerkschaften müssten zu Streiks aufrufen, ruft er ins Mikrofon. Die wenigen hundert, die bei drei Grad über null bis zum Schluss ausgehalten haben, klatschen lauter als bei den anderen Rednern. Demonstrieren ist ihnen nicht mehr genug.

ULRICH SCHULTE

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