: Grüne müssen Brücken bauen
Heute diskutiert der grüne Parteirat die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan. Es gilt, falsche Eindeutigkeiten zu verhindern und Kontroversen weiter zuzulassen
Am Konflikt über die Bereitstellung deutscher Truppen für den „Feldzug gegen den Terrorismus“ können die Grünen zerbrechen. Sie können aber auch daran wachsen, wenn sie die Fähigkeit entwickeln, die Spannung zwischen Zustimmung und Ablehnung auszuhalten. In dieser Frage spiegeln die Grünen den Seelenzustand der Gesellschaft wider. Während die anderen Parteien von CSU bis PDS die Zweifel, Sorgen und Unsicherheiten, die mit dieser Entscheidung so oder so verbunden sind, zu Gunsten einer falschen Eindeutigkeit verdrängen, tragen die Grünen den Konflikt offen aus. In dieser Lage hat jeder Versuch, Partei, Fraktion und Minister auf eine einheitliche Position festzulegen, etwas Selbstzerstörerisches.
Angesichts dessen kann die grüne Bundestagsfraktion nicht dazu verdonnert werden, sich „geschlossen“ hinter den Antrag der Bundesregierung zu stellen. Der bevorstehende Rostocker Parteitag der Grünen muss vermeiden, die Kontroverse über den Bundeswehreinsatz so zuzuspitzen, dass eine Seite innerhalb der Partei keine Luft mehr bekommt. Wie kann verhindert werden, dass die Grünen über diese Entscheidung auseinander fliegen – und in der Konsequenz auch die Koalition?
Erstens: Mehrheit ist Mehrheit. Eine rot-grüne Mehrheit für den Antrag der Bundesregierung ist nicht zwingend für den Fortbestand der Koalition. Der Bruchpunkt der Koalition ist erst erreicht, wenn die Politik der Bundesregierung keine tragfähige Mehrheit mehr in der bündnisgrünen Fraktion findet. Ohnehin setzt eine so weit reichende Entscheidung eine fraktionsübergreifende, breite Mehrheit des Bundestages voraus. Es sei daran erinnert, dass Konrad Adenauer in der für die Bundesrepublik entscheidenden politisch-moralischen Frage der Wiedergutmachungszahlungen an Israel keine eigene Mehrheit im Bundestag hatte.
Zweitens: Es muss eine Brücke zwischen Befürwortern des Antrags und jenen Kritikern geschlagen werden, die nicht prinzipiell gegen die militärische Intervention in Afghanistan sind, aber große Probleme mit der gegenwärtigen Kriegsführung der USA und dem unbestimmten Charakter des vorgelegten Antrags haben. Was ist dafür nötig? Wenn der Bundestag ein Mandat für die Beteiligung deutscher Truppen an Kriegshandlungen geben soll, dann sollten Ziele, Einsatzgebiet und Zeitraum dieses Einsatzes präziser bestimmt werden, als das in der Kabinettsvorlage der Fall ist. Es müssen Sicherungen eingebaut werden, damit ein solcher Beschluss nicht als Blankovollmacht für eine unkalkulierbare Eskalation des Krieges gegen den Terror gelesen werden kann.
Ein Ansatzpunkt findet sich bereits in der vorliegenden Fassung: Die Beteiligung deutscher Truppen an Militäraktionen gegen den Terrorismus in anderen Ländern als Afghanistan soll nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierungen möglich sein. Ein Feldzug gegen den Irak ist damit ausgeschlossen. Im Falle Somalias und des Sudans ist das weniger eindeutig. Die Ausweitung militärischer Aktionen auf andere Länder ist aber so gravierend, dass in jedem Fall eine erneute Zustimmung des Bundestages erfolgen sollte.
Eine weitere Bedingung für ein grünes Ja sollte sein, dass die Bundesregierung sich massiv für die Versorgung der afghanischen Zivilbevölkerung einsetzt. Eine wachsende Millionenzahl von Binnenflüchtlingen und Vertriebenen ist von Lebensmittelhilfe internationaler Organisationen abhängig. Die Eroberung von Masar-i Scharif durch die Nordallianz eröffnet die Möglichkeit zu großangelegten Hilfslieferungen in die nördlichen und westlichen Regionen Afghanistans und zur Einrichtung von humanitären Schutzzonen, die Flüchtlingen einen sicheren Hafen bieten.
Es besteht kein absoluter Widerspruch zwischen bewaffneter Intervention und humanitärer Hilfe. Denn nur der Sturz des klerikal-faschistischen Taliban-Regimes kann die lang andauernde humanitäre Katastrophe in Afghanistan beenden und den Boden für die Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge in ihre Heimatgebiete bereiten.
Der Bundestag sollte sich mit der Bereitstellung deutscher Truppen dafür aussprechen, die militärischen Aktionen gegen den internationalen Terrorismus regelmäßig dem UN-Sicherheitsrat vorzulegen, um die Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen feststellen zu lassen. Das ist ausdrücklich in Artikel 51 der Charta (Recht zur Selbstverteidigung) so vorgesehen.
Schließlich sollte von den Vereinigten Staaten gefordert werden, ihren Widerstand gegen die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshof für Verbrechen gegen die Völker- und Menschenrechte aufzugeben. Das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Herrschaft des Rechts in der internationalen Arena und würde die Glaubwürdigkeit der „Allianz gegen den Terrorismus“ erhöhen.
Ein letzter Punkt: Die Koalition sollte sich darauf verständigen, mehr Nachdruck als bisher auf eine abgestimmte Haltung der EU-Staaten hinsichtlich politischer und militärischer Strategien gegenüber dem internationalen Terrorismus zu legen. Eine Renationalisierung der Außenpolitik oder eine Spaltung Europas in wichtige und unwichtige Staaten vernichtet die Früchte jahrzehntelanger Einigungsbemühungen.
Unsere Vorschläge zielen darauf, die Unterstützung der USA im Krieg gegen das Taliban-Regime an humanitäre Ziele, das internationale Recht und eine abgestimmte politische Strategie der Allianz zu binden. Unter diesen Bedingungen halten wir sie für gerechtfertigt. Man muss klar aussprechen, dass der politische, militante Islamismus –nicht der Islam als Religion – eine totalitäre Bewegung ist, weil er die Differenz zwischen Religion, Gesellschaft und Staat einebnen und das gesamte gesellschaftliche Leben einer extrem intoleranten und frauenfeindlichen Interpretation des Islam unterwerfen möchte.
Weder repräsentieren die „Heiligen Krieger“ des 11. September die Verdammten dieser Erde noch kämpfen sie mit falschen Mitteln für eine gerechte Sache. Sie sind Feinde einer pluralistischen, kosmopolitischen, zivilen Gesellschaft. In diesem Sinn waren die Anschläge gegen die USA tatsächlich eine „Kriegserklärung an die zivilisierte Welt“. Die Frontlinie dieses Konflikts verläuft allerdings nicht zwischen dem „freien Westen“ und dem Rest der Welt.
Der Kampf zwischen freiheitlichen und totalitären Bestrebungen findet ebenso in einer Vielzahl von islamisch geprägten Ländern statt, die sich zum Teil der „Allianz gegen den Terror“ angeschlossen haben. Allein in Algerien sind in den letzten Jahren 100.000 Menschen dem Terror der Islamisten und dem Gegenterror des Staates zum Opfer gefallen. Iran, Ägypten, der Sudan, Somalia, Nigeria, Kaschmir und Palästina sind weitere Schauplätze dieser Auseinandersetzung. Es wird Zeit, diese Zusammenhänge zur Kenntnis zu nehmen, statt sie zu verdrängen.
Das nächste Etappenziel al-Qaidas und der Taliban auf dem Weg zu einem neuen Kalifat ist die Machtübernahme der Islamisten in Saudi-Arabien und Pakistan. Saudi-Arabien ist hoch gerüstet und eine sprudelnde Geldquelle, Pakistan verfügt über die Atombombe. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was dieses Szenario bedeutet. Die demokratische Welt kann das Vorrücken des militanten Islamismus durch zwei Fehler beschleunigen: durch eine militärische Überreaktion auf den 11. September – aber auch durch mangelnde Entschlossenheit. Um in dieser Situation ausgleichend handeln zu können, muss die Bundesregierung auf eine reflexive, kritische Solidarität Europas mit den Vereingten Staaten setzen und nationale Sonderwege ablehnen.
RALF FÜCKS, DANIEL COHN-BENDIT
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