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US-Angst vor dem Weltgericht

von CHRISTIAN RATH

Die USA sehen mal wieder alles ganz anders. Während weltweit nach dem 11. September die Notwendigkeit für einen Internationalen Strafgerichtshof so deutlich empfunden wird wie nie zuvor, wollen die Vereinigten Staaten weiter gegen dessen Einrichtung kämpfen. Sie riskieren damit sogar den Streit mit ihren europäischen Verbündeten. In einem der taz vorliegenden Brief von Ende Oktober bat Außenminister Joschka Fischer seinen „lieben Kollegen“ US-Außenminister Colin Powell, die US-Position zu „überdenken“.

Die Etablierung eines Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) wurde 1999 in Rom von einer großen Staatenkonferenz beschlossen. Er soll künftig Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen untersuchen und aburteilen, wenn die eigentlich zuständigen Nationalstaaten dazu nicht willens oder in der Lage sind.

Bin Laden – kein Fall

Auf den ersten Blick scheint der Fall Bin Laden wie geschaffen für ein solches internationales Strafgericht. Zumindest die beiden Flugzeuganschläge auf das World Trade Center können als „systematischer Angriff auf die Zivilbevölkerung“ gewertet werden und stellen damit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Und dass in Afghanistan derzeit kein effektiver Prozess über die Vorwürfe gegen Bin Laden möglich ist, dürfte nach dem bisherigen Verhalten der Taliban-Herrscher auf der Hand liegen. Andererseits könnten sie ihr Gesicht eher wahren, wenn sie Bin Laden an ein internationales Gericht ausliefern, als wenn der radikale Islamist direkt der US-Justiz überstellt würde.

Tatsächlich kamen die Angriffe auf das World Trade Center noch etwas zu früh für den IStGH, da dieser bisher nur auf dem Papier existiert. Zwar wurde das 1999 in Rom ausgehandelte Statut, das die Arbeit des Gerichtshofes regelt, bisher von immerhin 139 Regierungen unterzeichnet. Doch völkerrechtlich gelten diese Unterschriften nur als Absichtserklärungen. Entscheidend ist vielmehr die Zahl der Ratifikationen, mit denen sich die Staaten zur Einhaltung des Rom-Statuts verpflichten. Meist ist dafür – wie in Deutschland – ein Parlamentsgesetz erforderlich. Laut Statut kann der IStGH seine Arbeit erst aufnehmen, wenn 60 Staaten das Statut ratifiziert haben. Derzeit haben erst 43 Staaten, darunter Deutschland, entsprechende Urkunden hinterlegt. Jan C. Harder vom Komitee für ein effektives Völkerstrafrecht schätzt, dass im Frühsommer nächsten Jahres genügend Ratifikationen beisammen sind.

Und dann steht auch noch eine zweite Hürde im Weg. Denn das Statut sagt, dass der Gerichtshof grundsätzlich nur für Verbrechen zuständig ist, die nach (!) seiner Arbeitsaufnahme begangen wurden. Die Terroranschläge auf die USA liegen aber eindeutig davor. Um Bin Laden dennoch vor ein internationales Gericht stellen zu können, müsste deshalb vom UN-Sicherheitsrat ein Ad-hoc-Tribunal eingerichtet werden (siehe Kasten).

Die USA – ein Fall?

Was in Europa aber kaum jemand versteht: Die USA lehnen einen permanenten Strafgerichtshof generell ab. Sie haben Angst, dass sich am Ende auch US-Befehlshaber oder US-Soldaten auf der Anklagebank wiederfinden könnten. Die Europäer verweisen dann zwar auf die gut ausgebaute Militärstrafgerichtsbarkeit der USA, die ein internationales Eingreifen überflüssig mache. Doch ist die Angst der Amerikaner nicht völlig unbegründet. Wenn es nämlich nicht um das Fehlverhalten Einzelner, sondern die Rechtmäßigkeit einer ganzen Militäraktion geht, dürften US-Gerichte nicht mehr das richtige Forum darstellen.

Die Amerikaner wissen, dass in weiten Teilen der Welt die oft eigenwillige US-Auslegung des Völkerrechts kritisch gesehen wird. So haben die Nato-Staaten vor zwei Jahren ohne Mandat des Weltsicherheitsrats im Kosovo interveniert und sich dabei auf eine drohende „humanitäre Katastrophe“ berufen. Viele Völkerrechtler sahen darin formal einen unzulässigen Angriffskrieg.

Allerdings scheint die Angst der Amerikaner auch etwas übertrieben. So kam es auch nach dem Kosovokrieg zu keiner Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen Nato-Offizielle vor dem Jugoslawien-Tribunal – obwohl Chefanklägerin Carla del Ponte von Jugoslawien und der westlichen Friedensbewegung bedrängt wurde, auch in diese Richtung zu ermitteln. Am Ende übernahm sie jedoch die Version der Nato, dass zivile Opfer von Luftangriffen durch die Nato weder beabsichtigt noch rücksichtslos in Kauf genommen wurden.

Aus US-Sicht genügt es allerdings nicht, wenn die Vereinigten Staaten nun einfach das Rom-Statut nicht ratifizieren. Denn sobald US-Soldaten in einem Vertragsstaat tätig werden, unterliegen sie letztlich doch der Rechtsprechung des Strafgerichtshofes.

Diese Bestimmung will die US-Regierung allerdings wegverhandeln. Nur deshalb hat Präsident Clinton kurz vor Ende seiner Amtszeit das Rom-Statut noch unterschrieben. Nur so können die USA an der weiteren Ausgestaltung des Vertragswerks teilnehmen. An eine Ratifikation, für die eine Zweidrittelmehrheit im Senat erforderlich wäre, hat auch Clinton nicht gedacht.

Im US-Kongress ist inzwischen sogar ein konkretes Gesetz gegen den IStGH geplant. Im Mai bejahte das Repräsentantenhaus mit 282 zu 137 Stimmen den American Servicemembers Protection Act (ASPA), ein Gesetz zum Schutz von US-Soldaten vor der internationalen Gerichtsbarkeit. Darin wird jede US-Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof untersagt. Staaten, die das Rom-Statut ratifizieren, soll die Militärhilfe gestrichen werden. US-Soldaten, die in Den Haag angeklagt werden, müssten „mit allen erforderlichen Mitteln“ befreit werden, heißt es in dem Gesetz.

Inzwischen ist klar, dass auch die Bush-Administration das ASPA-Gesetz unterstützt. Dies geht aus einem Schreiben des US-Außenministeriums an den erzkonservativen Senator Jesse Helms hervor. Die Mitteilung stammt vom 25. September, als die Regierung Bush eigentlich mitten im Aufbau einer Anti-Terror-Koalition steckte. Einziges Zugeständnis an die Verbündeten: Die bislang fehlende Abstimmung im US-Senat wurde noch nicht eingeleitet.

Dennoch sorgen die ASPA-Pläne in Europa für Unverständnis und Verbitterung, es droht eine offene Spaltung zwischen der EU und den USA. „Ich bitte dich, alles in deiner Macht stehende zu tun, eine solche Entwicklung zu verhindern“, schrieb etwa Joschka Fischer an Colin Powell. Und parallel dazu wandte sich im Namen der EU-Ratspräsidentschaft der belgische Außenminister Louis Michel an George W. Bush: Wenn die USA bei einem Internationalen Strafgerichtshof schon nicht mitmachen, so sein Brief, dann sollten sie „wenigstens nicht die Staaten blockieren, die den Gerichtshof unterstützen wollen“.

Und selbst hochrangige Richter legen ihre Zurückhaltung ab, wenn es um das Verhalten der USA geht. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kritisierte Wolfgang Schomburg, erster deutscher Richter am Jugoslawien-Tribunal, die „Obstruktion“ der USA. „Es wäre schön, würde Amerika erkennen, dass internationale Solidarität auch bei der strafrechtlichen Zusammenarbeit unverzichtbar ist.“

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