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Rot-Grün bewahren!

CONTRA: Die Kriegsgegner dürfen die Existenz ihrer Partei nicht aufs Spiel setzen

Die Grünen befinden sich in einer „no win“-Situation: Egal, wie die grünen Dissidenten morgen abstimmen – die grüne Partei wird zu den Verlierern gehören. Beugen sich die Kriegskritiker Schröders Erpressung, drohen die Grünen zum Spielball der Launen des Kanzlers zu werden und in einer zentralen Frage dramatisch an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Platzt hingegen die Koalition, riskiert die Partei ihre Existenz. Es gilt, zwischen zwei Übeln das kleinere zu wählen.

Schröder hat diese Lage selbst befördert. Erst hat er das Signal ausgesandt, dass rot-grüne Dissidenten nicht so schlimm wären, dann kam der abrupte Schwenk, ein aggressiver Befreiungsschlag. Unser pragmatischer, moderater Kanzler hat neuerdings eine historische Mission: die endgültige militärische Normalisierung Deutschlands. Auch daher rührt der zackige Ton. Die Erpressung der Grünen ist ein hochsymbolischer Akt: Schröder will Schluss machen mit pazifistischer Bedenkenträgerei, mit dem ewigen Zweifel und „Ja, aber“. Dass fast die Hälfte der Deutschen in dieser Frage im Parlament nur von der PDS vertreten werden sollen – was schert das den Kanzler, der ein richtiger, harter Staatsmann sein will.

Doch die Kritik an Schröders miesem Stil und forscher Normalisierungspolitik hilft bei der wesentlichen Frage nicht weiter: Haben die grünen Dissidenten im Moment genug gute Gründe, die Koalition platzen zu lassen? Können die Grünen sich selbst und ihrer Klientel plausibel machen, dass ihnen nur der Weg in die Opposition bleibt? Nein.

Die Grünen haben vor zwei Jahren den Einsatz deutscher Tornado-Kampfflugzeuge in Jugoslawien unterstützt. Sie haben sich damals von dem Pazifismus ihrer Gründungszeit verabschiedet und sind der realpolitischen Logik von Außenminister Joschka Fischer gefolgt. Diese Logik sah so aus: Wenn wir militärisch draußen bleiben, haben wir nichts zu sagen. Also machen wir militärisch mit – und nutzen danach die Chance, dem Zivilen zu seinem Recht zu verhelfen. Man kann diese Logik mit guten Gründen ablehnen. Doch wer sie akzeptiert, muss anerkennen, dass sie nicht erfolglos war. Rot-Grün hat damals geholfen, Russland zu integrieren und den Balkan-Stabilitätspakt auf den Weg zu bringen.

Die Grünen können die Koalition nur verlassen, wenn sie präzise begründen, dass sich etwas Wesentliches geändert hat, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung, die sie für den Kosovo akzeptiert haben, jetzt deutlich anders ausfällt. Können sie das, jetzt nach dem Fall von Kabul?

Die 3.900 Bundeswehrsoldaten werden sich größtenteils mit Sanitätsdienst oder der Begleitung von Öltankern beschäftigen – verglichen mit der Bombardierung Jugoslawiens wird das wohl ein eher unspektakulärer Einsatz. Außerdem ist es angesichts des Rückzugs der Taliban denkbar, dass die Bundeswehr militärisch schlicht überflüssig wird.

Wichtiger ist aber: Inzwischen kann die UNO mehr Flüchtlinge versorgen. Das zunächst einleuchtende Argument der Kriegskritiker, dass „Brot und Bomben“ ein irrsinniges, widersprüchliches Konzept ist, verblasst jetzt. Allmählich rückt auch die komplizierte Frage der Neuordnung Afghanistans näher – eine Chance gerade für zivile, rot-grüne Politik. Und schließlich sollte die Bundesregierung die chauvinistische Fraktion in der Bush-Regierung, die von Bomben auf Bagdad träumt, bremsen. Das ist Rot-Grün noch immer eher zuzutrauen als Rot-Gelb.

Und nun? Schröders Erpressung wird wahrscheinlich glücken – und der linke, militärkritische Flügel der Grünen wird ohnmächtiger sein als je zuvor. An Ströbele und seinen Mitstreitern klebt dann das Image „Umfaller“ wie Kaugummi.

Der Afghanistan-Krieg bewegt sich derzeit, so weit man dies wissen kann, innerhalb jener realpolitischen Logik, die die Grünen im Kosovo-Krieg akzeptiert haben. Deshalb können sie derzeit nicht in die Opposition. Denn um dort als Partei zu überleben, brauchen die Grünen viele zwingende Gründe für diesen Schritt. Doch die haben sie nicht.STEFAN REINECKE

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