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Der singende Schnauzbart

Heute vor 25 Jahren wurde Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert. Daher klampft er heute Abend im Berliner Ensemble

Wer weiß, ob man einmal vom legendären „Berliner Konzert“ sprechen wird

Rudi Carrell wollte vor 25 Jahren einen dollen Witz machen. In seiner Show „Am laufenden Band“ sollte Komiker Heinz Eckner mit Zottelperücke und Gitarre auf die Bühne kommen. „Nein, nicht schon wieder Biermann“, wollte Carrell dann sagen. Weil der Biermann damals medial allgegenwärtig war. Doch der zuständige WDR-Redakteur redete dem wiehernden Holländer den Gag aus.

Schließlich war es ja sein Sender, der jenes Konzert vom 13. November ausgestrahlt hatte, das als „das Kölner“ in die Weltgeschichte eingehen sollte. Nicht live ging es über den Sender, sondern spätabends am 16. November, dem Tag der Ausbürgerung also. Und eigentlich sendete der WDR damals ja für die DDR: Den Leuten dort war von ihrer Partei nämlich weisgemacht worden, der Biermann habe in der westdeutschen Jeckenhochburg ihre Republik verunglimpft. Was allerdings gar nicht stimmte. Und was sie in jener Nacht auch sahen.

Ach, ja: Der Redakteur vom „Laufenden Band“ hieß übrigens Alfred Biolek. Er erklärte Carrell damals, dass man den Biermann-Gag nicht bringen könne – wegen political correctness, würde man heute sagen. Aber klar, er als Holländer könne das nicht verstehen, gab Bio ihm zu verstehen. Dass diese Episode überliefert ist, verdanken wir dem Buch zu einer WDR-Sendung: „Zehn Jahre Boulevard Bio“.

Ein Buch herausgebracht hat übrigens auch Fritz Pleitgen. Der frühere Moskau-Korrespondent und heutige WDR-Intendant lässt darin Leute wie Manne Krug und Günne Wallraff erzählen, wie sie den Monat 11/76 erlebt haben. Über den Titel lässt sich streiten: „Die Ausbürgerung – Anfang vom Ende der DDR“.

“Nein, nicht schon wieder Biermann“ musste man schon lange nicht mehr stöhnen. Klar, auch in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit meldete sich der Gitarren-Autodidakt zu Wort, aber wohldosiert. So viel Biermann wie jetzt, da sich alles vierteljahrhundert, war nie mehr seit jenem deutsch-deutschen Herbst.

Heute Abend klampft Biermann im Berliner Ensemble, unweit der Weidendammer Brücke, wo „die Friedrichstraße sacht / Den Schritt über das Wasser macht“, wie er es sich einmal zusammenreimte. Hier, in den heiligen Hallen des seligen Bert Brecht, begann der junge, 1953 aus Hamburg rübergemachte Wolf als Regieassistent. Mit dem Abend heute Abend feiert der singende Schnauzbart zudem seinen 65. Geburtstag, und Bundestagsvollbart Wolfgang Thierse laudatiert. Die Karten sind natürlich alle weg, denn wer weiß, ob man nicht irgendwann vom legendären „Berliner Konzert“ sprechen wird.

Früher, da wäre Biermann ein paar Minuten zu Fuß zu diesem Event gelaufen. Früher, da wohnte er ja auch noch in der Chausseestraße 131 – wir kennen sie alle von der gleichnamigen und dortselbst aufgenommenen Platte, auch wenn wir sie nie gehört haben. Heute wohnt auf den berühmten 190 Quadratmetern Hanno Harnisch, der sich bis vor kurzem PDS-Sprecher nennen durfte und den Biermann aus alter Unverbundenheit als „Spitzel“ bezeichnet. Und da Harnisch erst in der vergangenen Woche der Berliner Morgenpost seine Wohnung zeigte, wissen wir Bescheid: Aus Biermanns Zeiten sind zumindest noch die Heizkörper übrig.

Und was ist von Biermann selbst übrig? Wann immer er irgendwo auftauchte, sorgte der Liedermacher in den letzten Jahren für Ratlosigkeit: Warum macht er der Welt den Chefkulturkorrespondenten, wo laut einem Biermannlied doch aus Springers Zeitungswald die erste Kugel geschossen kam, die Rudi Dutschke traf? Oder: Warum ist es toll, Kommunist zu sein, so lange Biermann einer ist – danach jedoch nur noch verwerflich? Biermann würde als Antwort sein Lied anstimmen: “Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.“ Nun, man muss kein Holländer sein, um Wolf Biermann nicht zu verstehen. ALEXANDER KÜHN

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