: Die Würde des Internisten
Abschiebegegner wegen Kritik an medizinischer Versorgung im Knast verurteilt ■ Von Elke Spanner
Dr. Hans-Herbert Köhler sagt, dass er eine gesonderte medizinische Behandlung für Flüchtlinge niemals akzeptieren würde. Für ihn, behauptet der Internist, sind alle PatientInnen gleich. Laut Gesetz aber muss er sogar differenzieren. Köhler ist zuständig für die medizinische Versorgung der Abschiebegefangenen in Glasmoor, und denen steht laut Asylbewerberleistungsgesetz ärztliche Behandlung nur im Falle akuter Erkrankung und starker Schmerzen zu. „Sonderbehandlung“ hat der Norderstedter Gewerkschafter Olaf H. das im Entwurf eines Textes genannt, den er AbschiebegegnerInnen zur Verfügung stellte. Und das brachte ihn gestern vor Gericht.
Als der Begriff im August vorigen Jahres bei einer Kundgebung vor Köhlers Praxis auf einem Flugblatt wiederauftauchte, fühlte der Arzt sich beleidigt und stellte Strafantrag. Das Norderstedter Amtsgericht verurteilte Olaf H. daher wegen „Beihilfe zur Verleumdung“ zu einer Geldstrafe in Höhe von 4500 Mark.
Immer wieder klagen Abschiebegefangene in Glasmoor darüber, medizinisch unzureichend versorgt zu sein: Einen Dolmetscher gibt es bei den Arztbesuchen nicht, so dass die Diagnostik ohnehin erschwert ist. Und während Flüchtlinge in Freiheit zumindest noch einen Arzt ihres Vertrauens aufsuchen könnten, ist diese Möglichkeit in Haft verwehrt. Gefangenen bleibt allein die Möglichkeit, bei starken Schmerzen zu Köhler, dem Honorararzt der Justizbehörde, zu gehen – der auch darüber entscheidet, ob die Ausländerbehörde medizinisch betrachtet abschieben kann.
Dies aber als „Sonderbehandlung“ zu titulieren, stellt für das Gericht eine Verleumdung dar. Der Begriff werde üblicherweise für die nationalsozialistischen Massenmorde verwandt. H. habe Köhlers Arbeit folglich mit diesen gleichgesetzt. Dagegen hat der Gewerkschafter sich in einer Erklärung zu Beginn seines Prozesses verwehrt: Vergleiche mit dem Nationalsozialismus lehne er strikt ab, so sein Rechtsanwalt Ralf Ritter, weil dadurch das NS-Unrecht verharmlost würde. Heute sei „Sonderbehandlung“ in der Auseinandersetzung um die Rechtsstellung von Flüchtlingen jedoch ein gebräuchlicher Begriff, den auch große Organisationen wie „Pro Asyl“ benutzen würden. Gericht und Staatsanwalt sehen den NS-Kontext aber trotzdem als gegeben an – weil in dem Flugblatt von „rassistischer Praxis“ gesprochen wurde und Rassismus ein ideologischer Pfeiler des NS-Systems gewesen sei.
Blieb das Problem, dass H. das Flugblatt selber gar nicht geschrieben hat. Dass der Verfasser jemand anderes war, hat die Polizei zweifelsfrei festgestellt. Im Dezember hatten BeamtInnen H.s WG-Zimmer durchsucht, seinen Computer beschlagnahmt und festgestellt, dass dort nur der Text-Entwurf gespeichert war. Das Flugblatt sei weder auf seinem Computer verfasst noch über dessen Drucker ausgedruckt worden. H. aber habe immerhin sein Text-Fragment und damit die dortigen „verleumderischen Begriffe“ weitergegeben – und damit Beihilfe zur Veröffentlichung geleistet.
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