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Prima führen ins Elend

DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

Nichts scheint dem Regierungspolitiker Fischer so zu fehlen wie ein Oppositionspolitiker Fischer

„Nur schlecht Gesindel lässt sich seh’n und schwingt uns zum Verdrieße die zerlumpten Mützen. Was rechte Leute sind, die machen lieber den langen Umweg um den halben Fleck, eh sie den Rücken beugten vor dem Hut.“ Friedrich Schiller: Wilhelm Tell, III. Aufzug, 3. Szene/1

„Gimme that ol’ leitkultur feeling“, B-Seite: „I Tell You“, der aktuelle Chartbuster von Schiller feat. Muss DAS SCHRÖD resp. Joschka Fischer am Wochenende den Ströbeles auch noch einen traditionsgrünen Apfel von der Omme schießen oder reicht’s jetzt langsam mal? Andererseits könnte grüne Identität natürlich darin bestehen, dass die Verbraucherschutzministerin immerhin mit einiger Empörung von Apfelverachtung spräche. Ein bisschen was geht immer.

Der Entsendungsbeschluss, um den es in der Ur-Sache ging, sei „zum Zeitpunkt der Abstimmung möglicherweise bereits überholt“, kalmierte zum Beispiel Außenamtsstaatsminister Ludger Volmer. Man möge doch bitte den Hut grüßen, in dem vermutlich eh kein mieser Landvogt mehr stecke? Schillers Schweizer reagieren auf solches Ansinnen so wenig hurrapatriotisch wie Schröders Deutsche: „’s war doch sonst wie Jahrmarkt hier, jetzt ist der ganze Anger wie verödet, seitdem der Popanz auf der Stange hängt!“

Das uns regierende Führungskräfteseminar hat eine schwierige Übung brillant absolviert: schneller Entschluss, genialisch gewählter Zeitpunkt, drei Sieg-, keine Verlustoption. Entweder mit gedemütigten Grünen befreit weiterregieren. Oder Wechsel vom öko- zum wirtschaftsliberalen Koalitionspartner. Oder Neuwahlen gegen egal welchen Nichtkandidaten der Opposition. Letztere zum angenehm frühen Zeitpunkt: im Frühjahr, ohne die vorhersehbar traurigen Arbeitslosenzahlen des Herbstes, jedoch mit noch anhaltender Kriegssolidarisierung. Man muss sich schon kühl vor der Paranoia hüten, Schröder könnte ein bisschen enttäuscht sein, dass nicht diese Option zum Zuge gekommen sei.

Amtsvorgänger Kohl scheute schon am Balkan vor deutschen Kampfeinsätzen zurück. Es sei für ihn undenkbar, deutsche Soldaten dorthin zu entsenden, wo die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg gewütet habe. Steuerfahnder Waigel kaufte uns lieber für 17 Milliarden vom Golfkrieg frei. Verteidigungsminister Rühe raunte beim Somalia-Einsatz, die Stimmung in Deutschland könne sehr schnell kippen, wenn der erste Soldat im Zinksarg heimkehre. Was für kluge Argumente aus was für übel beleumundeten Schnuten. Kohls Führungsstil beschreibt man als den der unausgesetzten Mauschelei, des zähen Hintenrums. Kohl führte elefantös, wo Schröder hirscht. Während der halbe Wald noch schläft, röhrt es donnernd auf der Lichtung, und damit ist im Morgengrauen die gültige Ansage bereits verabschiedet.

So vereinfacht hatten wir erst doof und bräsig vorgetragene gute Politik. Und nun schlechte, die dafür aber echt schick aussieht. Man weiß gar nicht, ob das gegen Vereinfachung spricht. Müsste Kohl sich heute seiner Partei anschließen und schießen lassen? Hätte Fischer dieser Tage Mühe gehabt, dass nicht mehr als vier Abweichler mit der Regierung für den gerechten Krieg stimmen? Kohl, und zuvor gar Schmidt konnten Ansinnen und Wünsche nach „Normalisierung Deutschlands“ stets schulterzuckend zurückweisen mit dem Hinweis auf den bekloppten Taxifahrer aus Frankfurt: „Wenn wir remilitarisieren, inszeniert der uns einen Volksaufstand!“ Nichts scheint dem Regierungspolitiker Fischer so zu fehlen wie ein Oppositionspolitiker Fischer. Hätte, könnte, würde.

Man weiß es nicht. Hier wuchs zusammen, was sich nicht gehört; hier eskalierte eine Sach- zur Machtfrage; und wenn sie wer mutwillig eskaliert hat, dann trägt er historische Schuld. Kann sich gerne melden. Wird er nicht tun. Das Oppositiönchen tönte mal gerade noch, Schröder möge doch die Vertrauensfrage nicht dem Parlament, sondern der Bedeutsamkeit wegen dem Volke vorlegen. Die ganze Machtgier der FDP drückt sich hier vortrefflich darin aus, dass sie keinesfalls auf die Idee kommt, die Frage nach Krieg oder Frieden dem Volke vorzulegen. Sondern die nach Mitmachendürfen. Dabei hätte ein stummer Fingerzeig auf Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gereicht, um dezent darauf hinzuweisen, dass man auch mal die Brocken, Ämter und Privilegien hinschmeißen kann, wenn’s gegen die Überzeugung geht.

Das Deuteln an der Vergangenheit hilft so wenig wie das Orakeln in die Zukunft. Der längste Atomausstieg der Welt und echt pazifistische Kampf-einsätze sind, günstigenfalls, Vexierbildchen; hol’s der Wähler, ob es sich dafür gelohnt hat.

In Niedersachsen hat der Ministerpräsident Schröder seinen Koalitionspartner Trittin rund um die Uhr mit Kröten bewirtet; mal eine Autoteststrecke, mal ein dickes Rohr durchs Naturschutzgebiet und lecker Ems-Verbreiterung. Trittin errang wenig beachtete Detailerfolge – und konnte das rot-grüne Projekt deshalb erfolgreich nennen. So erfolgreich, dass es für Schröder im zweiten Durchgang für die absolute Mehrheit reichte.

Viel zitiert auch Schmidts Vertrauensfrage, die den sozialliberalen Kladderadatsch mal gerade noch sieben Monate zusammenhielt. Das Dilemma erfolgreicher Führungstechnik ist, dass dem Kursleiter die Äuglein funkeln, wenn so ordentlich und transparent die Machtfrage geklärt wird. Prima führen kann man auch ins Elend. Das hat mit den Inhalten so vollstreckter Politik nichts zu tun; und nächste Woche coacht derselbe Kursleiter das Management einer Rüstungsfabrik oder eines Atombetreibers.

Schröders Politikstil ist anfangs gern als „moderierend“, gar als zu wenig zupackend missverstanden worden. Hier wurde er als rücksichtslos autoritär kenntlich, und dies findet die Billigung des jubelnden Parteitages. Die Bündnisgrünen hingegen haben sich einer Erpressung gebeugt, und wenigstens an der Stelle hat das ganze Spektakel ja wirklich mit Terror zu tun, der neuen Dimension des Vertrauensterrors.

Das uns regierende Führungskräfteseminar war brillant: drei Sieg-, keine Verlustoption

Antje Vollmer wies zwischendurch darauf hin, dass die Deutschen – Achtung, Sonderweggefahr! – zu lernen versucht hätten, Terror zu deeskalieren, und Klaus Kinkel nickte dazu im Gedenken an die nach ihm benannte Initiative. Das scheint sich aber alles nicht zu gehören, das wird als nicht normal diskreditiert: Die Deutschen wollen wieder nur rumquatschen, die geben den Weltzivildienstleistenden; die meinen, es mal wieder besser zu wissen.

Normalität ist nicht, wenn man genau so handelt und zu sein versucht wie die anderen. Sondern wenn man mit sich so im Reinen ist, wie man es bei anderen vermutet. Das sind wir, erst recht als Kriegspartei, nicht; das kann keine Mehrheit beschließen.

Tell übrigens hat dem Popanz an der Stange seinen Gruß gar nicht verweigert. Er schritt mit seinem Sohn über den Platz, Blick und Gespräch auf viel Bedeutsameres gerichtet: die Berge und die von dort drohende tödliche Lawinengefahr. Von Führungskraft Gessler vor die Vertrauensfrage gestellt, warum er denn den Hut nicht grüße, antwortet Tell ehrlich: Den habe er nun gar nicht gesehen.

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