Gegen die Tyrannei des Terrors

DER NEUE PAZIFISMUS (3): Die Linken müssen sich nicht für den Bellizismus entscheiden, aber für eine neue Friedensordnung, die militärische Mittel nicht prinzipiell ausschließt

Die entscheidende Prävention gegen Terrorismus und Krieg ist die Festigung staatlicher Institutionen

Der Bundestag hat nicht über Krieg und Frieden abgestimmt, und die Grünen müssen sich nicht zwischen Bellizismus und Pazifismus entscheiden. Der Bundestag hat nur die Möglichkeit geschaffen, mit einer beschränkten Zahl von Soldaten die Zerschlagung von Basen des internationalen Terrorismus in Afghanistan zu flankieren, logistisch und medizinisch abzusichern. Mit Mobilisierung von „Krisenspezialkräften“ erklärt sich die Bundesrepublik zur Unterstützung eines polizeilichen Zugriffs auf schwer bewaffnete und militärisch ausgebildete Terroristen bereit. Dass diese Entscheidung eines begrenzten Militäreinsatzes als „Kriegsbeschluss“ disqualifiziert wird, kann allenfalls mit der verbalen Hochrüstung nach dem 11. September erklärt werden. Doch auch wer bei den Tatsachen bleibt, beschönigt nichts.

Da die Entscheidung des Bundestages und der damit verbundene Vertrauensbeweis für den Kanzler in Zusammenhang und Verbindung mit den Bombardierungen der USA und ihrem militärischen Eingriff in den Bürgerkrieg in Afghanistan stehen, stellt sich allerdings die Frage: Sind die militärischen Aktionen der USA ihren Zielen und Methoden nach gerechtfertigt?

Käme man zu der Überzeugung, dass dies nur teilweise der Fall sei, bliebe die weitere Frage: Setzt der Bundestagsbeschluss eine umfassende Billigung des US-amerikanischen Einsatzes voraus oder lässt er Platz für kritische Abwägung über dessen Folgen? Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der US-Aktionen ist, ob sie dem Ziel gerecht werden, das terroristische Netzwerk zu zerstören, die Hintermänner der Anschläge zu fassen und ähnlichen Anschlägen vorzubeugen oder sie zumindest zu erschweren. Wer hier zu Recht auf den polizeilichen Charakter dieser Ziele verweist, kann sich dann nicht damit aus der politischen Verantwortung schleichen, dass er wie Gysi den Naiven spielt und vorzutäuschen sucht, man hätte einfach mal ein paar Greifkommandos nach Afghanistan schicken können, um Bin Laden und vielleicht noch ein, zwei andere zu fassen, über die Grenze und vor ein internationales Gericht zu schaffen.

Doch konnte man über Wochen Zweifel hegen, ob die USA ihre auch durch den Sicherheitsrat legitimierten Ziele nicht unverhältnismäßig strapazierten. Die Bombardierungen schienen auszuufern und sich vom Zweck zu entfernen. Den Verantwortlichen allerdings vorzuhalten, sie instrumentalisierten die Ziele nur, um einen Angriff auf das afghanische Volk zu rechtfertigen, und dächten letzten Endes doch nur an Öl und Pipelines, war von Anfang an schäbig.

Seit fast zwei Wochen zeigt sich nun, dass die militärischen Methoden am Erfolg gemessen auf die Zerschlagung der territorial gebundenen Stützpunkte des Terrorismus bezogen blieben. Dies schloss angesichts der symbiotischen Verknüpfung von al-Qaida und Talibanregime notwendig die Zerschlagung des Letzteren mit ein. Die USA brauchten keinen Krieg zu eröffnen, sondern griffen in Reaktion auf die Anschläge mit ihren Mitteln in den glimmenden Bürgerkrieg ein. Bei der jetzigen Wende sollte man nicht übersehen, dass die Nordallianz immerhin Träger der durch die UNO anerkannten Regierung war und ist. Diese Regierung hat erklärt, sich, wie es der ermordete Massud in seinem letzten Interview als politisches Ziel seiner militärischen Anstrengungen genannt hatte, an Friedensgesprächen mit allen interessierten Kräften zu beteiligen. Mit den Taliban gleichzusetzen ist die Nordallianz nicht.

Mag der Tanz auf den Trümmern des Talibanregimes in Kabul nur kurz gedauert haben, und wird es umso länger dauern, bis die Ruinen von zwanzig Jahren Krieg und Bürgerkrieg in Afghanistan beseitigt sind: Die Befreiung aus der Tyrannei war die entscheidende Voraussetzung für einen Erfolg der kommenden Mühen des Wiederaufbaus. Indem die USA in Afghanistan ihre eigenen begrenzten Ziele massiv verfolgten und weiterverfolgen, tragen sie gleichzeitig dazu bei, den anhaltenden Bürgerkrieg zu beenden und eine politische Regelung der Angelegenheiten des afghanischen Volkes zu erreichen. Schlimm, dass es zu diesen Bemühungen erst nach den Anschlägen in den USA kommt.

Wer hätte keine Vorbehalte gegen die militärische Strategie der USA gehabt? Im Unterschied zum Kosovo ist es jedoch in Afghanistan gelungen, die feindlichen Streitkräfte in eine Frontlinie zu zwingen, die Luftangriffe auf sie zu konzentrieren und damit die militärischen Mittel im Einklang mit den politischen Zielen zu halten. Ohne den Aufmarsch der Nordallianz wäre dies nicht gelungen. Mit ihrer Offensive hat sie auch den Nutzen daraus gezogen. Vielleicht werden im Erfolg über die Taliban jetzt die Fehler nach dem Sieg über die sowjetische Intervention vermieden. Die Verhandlungen in Berlin stehen unter nicht so üblen Vorzeichen.

Wer dennoch seine Vorbehalte gegenüber der Strategie der USA beibehält, muss diese mit dem Bundestagsbeschluss nicht aufgeben. Offensichtlich ist der Einsatz der Bundeswehr keine Bedingung der US-Aktionen. Zugleich hat er in sich eine Berechtigung, wenn der Kampf gegen den Terrorismus durch die Bundesrepublik überhaupt angenommen und aufgenommen werden soll.

Die USA brauchten keinen Krieg zu eröffnen, sondern griffen in den glimmenden Bürgerkrieg ein

Wer freilich der Meinung sein sollte, die amerikanischen Militärschläge seien durch und durch verfehlt, ja ungerechtfertigt, der wird den Beschluss des Bundestages verwerfen, dann aber auch hier und heute kundtun müssen, wie er sich stattdessen einen wirksamen Kampf gegen den mit dem islamistischen Talibanregime verknüpften global agierenden Terror vorstellt.

Vielleicht geht die These einer „Privatisierung der Kriege“ zu weit. Oder nicht weit genug: In Afghanistan hatten Taliban und al-Qaida sich den Staat angeeignet. „Staat“ und Terroristenbasis wurden identisch. Internationale Polizeiaktionen gegen terroristische Verbrechen müssen unter solchen Bedingungen die Form von Kriegen annehmen. Die entscheidende Prävention gegen Terrorismus und Krieg ist deshalb heute die Festigung staatlicher Institutionen und Staatsbildung. Das verlangt zugleich, dass Staatlichkeit nicht allein an der Beherrschung des Territoriums, sondern vor allem an der Erfüllung normativer Anforderungen gemessen wird.

Wenn aber Staatsbildung und -festigung Grundlage einer neuen Friedensordnung nach dem Zerfall der repressiven Blockordnung sind, kann mit der Ordnung der Staatenwelt (Erhard Eppler) nicht gleichzeitig der Weltstaat (Sibylle Tönnies) auf der Tagesordnung stehen. Für Grüne und andere Linke stellt sich nicht die Frage von Pazifismus oder Bellizismus, sondern die, ob sie sich endlich den Problemen einer fragilen Staatenwelt und damit auch der UNO stellen. Für absehbare Zeit kann der Weltstaat nur ein (gutes?) Glaubensangebot sein, um sich den akuten Problemen einer imperial nicht mehr beherrschten und beherrschbaren, von Terrorismus bedrohten Staatenwelt autosuggestiv zu entziehen, sich also vor Außenpolitik zu drücken. JOSCHA SCHMIERER