: „Es muss auch ohne Krieg gehen“
Interview STEFAN REINECKE und EBERHARD SEIDEL
taz: Herr Ströbele, wer wird an Stelle von Joschka Fischer nächster Außenminister der Bundesrepublik?
Hans-Christian Ströbele: Ich denke, dass Joschka Fischer das weiter ist. Dann entscheiden die Wähler.
Wirklich? Fischer hat angekündigt, dass er auf dem morgigen Parteitag der Grünen eine „glasklare Bestätigung“ des Bundestagsbeschlusses zum Einsatz deutscher Soldaten will.
Das ist sein gutes Recht, er hat sich die ganze Zeit dafür eingesetzt. Ich bin im Falle des Bundeswehreinsatzes und des Krieges der USA in Afghanistan anderer Meinung als er.
Der Bundesvorstand will, dass der Parteitag das Ja der grünen Abgeordneten zum Bundeswehreinsatz „akzeptiert“. Sind Sie damit einverstanden?
Nein. So wie dieser Satz dort steht, kann ich dem nicht folgen. Sonst hätte ich im Bundestag auch nicht mit Nein gestimmt.
Aber Fischer droht zurücktreten, wenn Sie sich mit Ihrer Position –Ja zu Rot-Grün, Nein zum Bundestagsbeschluss, deutsche Soldaten zu entsenden – durchsetzen sollten.
Man muss die beiden Fragen rot-grüne Koalition und Kriegseinsatz der Bundeswehr trennen. Natürlich besteht ein ganz starker inhaltlicher Zusammenhang. Das sehe ich auch. Der Bundeskanzler und der Außenminister haben sich für die Unterstützung des Afghanistankrieges sehr engagiert. Das ist ihre Politik, die sie bestätigt haben wollen. Ich sehe nicht, dass Joschka Fischer bei einem erträglichen Beschluss des Parteitages zurücktritt. Den Beschluss des Bundestages können wir Grüne sowieso nicht ungeschehen machen. Da kann der Parteitag beschließen, was er will.
Claudia Roth argumentiert, dass die grünen Abgeordneten Rot-Grün nicht stürzen durften, weil nur der Parteitag in Rostock eine so zentrale Frage beantworten kann. Jetzt sagen Sie, dass die Entscheidung schon im Bundestag gefallen ist. Wer nimmt den Grünen solche taktischen Winkelzüge noch ab?
Das ist kein Tricksen. Das kommt von der verflixten Verquickung der beiden Fragen. Über die Fortsetzung der Koalition kann der Parteitag entscheiden. Aber für die Bereitstellung der Bundeswehr gibt es nach wie vor eine große Mehrheit im Bundestag, auch ohne die Grünen. Wir müssen uns auf die Zukunft konzentrieren und klären, wie geht es jetzt weiter, was machen wir nun daraus?
Bevor wir uns der Zukunft widmen: Bei aller Opposition gegen die Politik Fischers sind Sie im Stillen doch ein braver Parteisoldat. Wenn es auf Ihre Stimme angekommen wäre, hätten Sie am vergangen Freitag doch mit Ja gestimmt, oder?
Diese Frage beantworte ich nicht, weil wir uns in der Gruppe der Acht darauf geeinigt haben, dass vier mit Ja und vier mit Nein stimmen. Motivforschung in der Öffentlichkeit für Einzelne mache ich nicht.
Dann eine persönliche Frage: Sind Sie froh, nicht an Stelle von Monika Knoche zu sein, die mit Ja stimmen musste, obwohl sie gerne wie Sie mit Nein gestimmt hätte?
Niemand musste. Also wieder die Frage, ob ich mir ein anderes Abstimmungsverhalten hätte vorstellen können ...
Genau.
Ich habe so gestimmt. Das war das Einverständnis und auch meine persönliche Entscheidung.
Sie haben am letzten Freitag nach der Abstimmung gesagt, dass Sie zwar mit Nein gestimmt haben, aber froh wären, dass die rot-grüne Koalition weiter arbeiten kann. Das ist eine ziemlich komplizierte Haltung. Wer soll die noch verstehen?
Das ist in gewisser Weise schizophren. Aber die Situation war ja auf Grund der Doppelentscheidung, die ich verfassungsrechtlich für problematisch halte, schizophren. In solch zentralen Fragen muss der Abgeordnete jeweils entscheiden können, wie er es für richtig hält.
Das zieht ein großes politisches Problem nach sich: Fischer macht als Außenminister eine Politik, die den Einsatz militärischer Mittel als Ultima Ratio einschließt. Große Teile der Grünen wollen das nicht. Wäre es nicht besser, Fischer und die Grünen würden sich trennen?
Da könnte man genauso fragen, wäre es nicht besser, Gerhard Schröder und Teile der SPD würden sich trennen, weil sowohl in der Mazedonienentscheidung als auch bei der jüngsten Entscheidung zum Afghanistankrieg viele SPDler ...
Das fragen wir dann einen SPDler, jetzt fragen wir den grünen Bundestagsabgeordneten Ströbele.
Nein, Fischer macht ja in vielen Bereichen auch eine Politik der Grünen, eine Politik, die ich für richtig halte. Zum Beispiel sein starkes Drängen, die UNO in Afghanistan ebenso einzubinden wie bei der zweiten Mazedonienentscheidung. Das war unsere Forderung: nicht Nato, nicht die USA, nicht Deutschland alleine, sondern UN-Mandat. Das hat er gemacht. Ich folge Fischer auch in der engen Einbindung Deutschlands in Pakte, in Bündnisse und in die EU. Ich will dieses neue große Deutschland fest in diesem Europa eingebunden haben. Nur so besteht die Chance, den deutschen Nationalismus zu bändigen.
Das war bereits die Politik von Helmut Kohl. Wie sieht es beim Nato-Bündnis aus?
Bei der engen Einbindung in die Nato habe ich Probleme. Jetzt scheint das auch die US-Politik zu sein, die zwar den Bündnisbeschluss herbeigeführt, aber danach die Nato beiseite gedrückt hat. Meine Skepsis gegen die Nato hat viele Gründe. Einer ist, dass sie nur einen Teil Europas einbezieht.
Im Augenblick ist Deutschland Teil des Nato-Bündnisses ...
Das nehme auch ich zur Kenntnis und versuche, damit umzugehen.
Was wollen Sie perspektivisch der Vormachtstellung der USA in der Nato entgegensetzen?
Wir brauchen ein Sicherheitssystem für Europa, das alle Länder umfasst, also auch Russland. Das muss möglichst bald wirksam werden, mit der OSZE oder in anderer Form. Wir brauchen auch eine Weltinnenpolitik, die das Gewaltmonopol stringent bei einer neutralen UNO belässt.
Die Entwicklung einer eigenständigen Sicherheitspolitik für Europa wollen innerhalb der Grünen vor allem Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit verfolgen. Wo sind da die Differenzen?
Ich will doch nicht zwangsläufig immer das Gegenteil von dem, was Fischer will. Wir haben gerade in den letzten Tagen über diese Frage diskutiert und sind uns einig, dass bis zur Bundestagswahl in Fragen der europäischen Sicherheitspolitik ein Klärung bei den Grünen notwendig ist.
Vieles Gemeinsames – und wo sind nun die Konfliktpunkte mit dem Fischer-Flügel?
Kein Krieg. Krieg als Mittel der Politik will ich nicht, nicht im Kosovo und nicht in Afghanistan. Bündnisverlässlichkeit und Vertrauen bei unseren verbündeten Nachbarn muss es auch ohne Kriegsbereitschaft geben.
Fischer ist es im Kosovokonflikt gelungen, Russland ins Boot zu holen und den Balkanstabilitätspakt zu befördern: also politische an die Stelle militärischer Logik zu setzen. Hat das an Ihrer Ablehnung des Kosovokrieges nichts geändert?
Nein. Der Krieg wurde damals damit gerechtfertigt, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern – mit dem Krieg wurde diese Katastrophe nicht verhindert, eher befördert. Die Serben konnten während des Nato-Angriffs radikaler und brutaler vorgehen. Auch das Kriegsziel eines multiethnischen Kosovos wurde nicht erreicht. Nach dem Krieg sind gezielt hunderttausende Serben und Roma vertrieben worden.
Wenn der Kosovokrieg so ein politisches und moralisches Fiasko war – warum sind Sie dann noch bei den Grünen, die diesen Krieg unterstützt haben?
Weil ich mich entschlossen habe, innerhalb der Grünen weitgehend und konsequent meine Position zur Geltung zu bringen. Ich bin ja nicht allein. Sonst wäre ich schon längst weg. Die Mehrheit ist häufig auf meiner Seite, die Programmlage sowieso. Ich bin beharrlich. 1970 bis 1975 war ich in der SPD. Das waren die harten Repressionsjahre der sozialliberalen Koalition und ich bin trotzdem in der SPD geblieben, bis sie mich rausgeschmissen haben.
So weit wird es bei den Grünen nicht kommen. Sie befinden sich in einer paradoxen Situation. Wenn Sie Ihre Position durchsetzen würden, wäre die rot-grüne Koalition am Ende.
Das sehe ich nicht. Die Koalition wäre im höchsten Risiko, wenn wir in Rostock den Bundeswehreinsatz kippen und die Fraktion das ab Montag umsetzen soll. Ich setze mich dafür ein, perspektivisch auf eine Politik ohne Krieg und ohne deutsche Kriegsbeteiligung zu setzen und diese zu realisieren. Ich möchte, dass wir, wie das bis 1998 möglich war, wieder dazu kommen, den Amerikanern, den Engländern und den Franzosen zu sagen, da machen wir nicht mit.
Bis 1998 lautete die Argumentation, wir beteiligen uns wegen der deutschen Geschichte nicht an militärischen Aktionen. Diese deutsche Sonderrolle wird von den USA, Großbritannien und Frankreich inzwischen nicht mehr so einfach akzeptiert.
Der Krieg in Afghanistan ist nicht zielgerichtet gegen Terroristen. Städte, Dörfer, auch unbeteiligte Zivilisten werden bombardiert. Ich halte das für falsch. Es muss im Bündnis möglich sein, die Art der Bekämpfung des Terrorismus zu kritisieren, das in Washington und London vorzutragen und nicht mitzumachen. Abweichende Meinungen unter den Bündnispartnern hat es innerhalb der Nato und der EU auch in der Vergangenheit gegeben.
Wenn Ihnen der Parteitag am Wochenende entgegenkommt und Ja sagt zur rot-grünen Koalition und Nein zum Kriegseinsatz, ist die Koalition am Montag am Ende.
Das muss nicht so sein. Ein Antikriegsbeschluss einer Partei der Friedensbewegung, wie ihn viele grüne Landes- und Kreisverbände vor der Entscheidung vom letzten Freitag artikulierten, muss möglich bleiben. Die Konsequenzen für die Umsetzung des Bundestagsbeschlusses müssen dann festgelegt werden. Das heißt gerade nicht Aufkündigung der Koalition, vielmehr mit der Koalition tatsächlich kriegerische Einsätze vermeiden in Afghanistan und weitere solcher Kriege verhindern. Die neueste Entwicklung in Afghanistan eröffnet neue Möglichkeiten.
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