: Vom König „Ullemulle“ und den Deutschen im Kabuler Exil
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan sind traditionell gut: Man besuchte sich gern, es gab eine deutsche Schule in Kabul und viel, viel Entwicklungshilfe
BERLIN taz ■ Deutschland hat einen guten Ruf unter Afghanen. Bereits in den letzten zwei Jahren fanden einige vom UNO-Sonderbeauftragten vermittelte Gespräche über Afghanistan in Berlin und Umgebung statt. Deutschland war in den vergangenen Wochen auch in der EU führend bei der Suche nach einer politischen Nachkriegsordnung und zuvor schon Gastgeber wichtiger Konferenzen afghanischer Exil- und Oppositionsgruppen.
Die traditionell guten Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan entstanden, als die nach Unabhängigkeit strebenden und zwischen dem russischen (später sowjetischen) Machtbereich und dem von Großbritannien beherrschten indischen Subkontinent eingekeilten Afghanen nach Partnern suchten, die in der Region keine direkten eigenen imperialistischen Absichten verfolgten. Zugleich versuchte das nach dem Ersten Weltkrieg isolierte Deutsche Reich außenpolitische Handlungsmöglichkeiten zurückzugewinnen und den Briten und Sowjets eins auszuwischen. Als der afghanische König Amanullah, den die Berliner bequemlichkeitshalber „Ullemulle“ nannten, mit Frau Soraya 1928 Deutschland besuchte, wurde dem Paar Unter den Linden ein triumphaler Empfang bereitet. Auf Amanullah wurde gar ein Karnevalsschlager geschrieben. Textprobe: „Die Karawane zieht weiter, der Sultan hat Dorschd“. Aber auch die 1924 in Kabul gegründete deutsche Schule wurde ihm zu Ehren Amani-Oberschule benannt. An dieser Schule wurden viele Kinder der afghanischen Elite ausgebildet, darunter auch der von 1979 bis 1989 von den Sowjets eingesetzte Statthalter Babrak Karmal.
Nicht zuletzt über die Amani-Schule, an der bis in die 80er-Jahre deutsche Lehrer unterrichteten, war Deutschland zumindest indirekt in Afghanistans politisches Schicksal verwickelt. 1933 wurde Nadir Schah, der Vater des Königs Safir Schah, in der Schule ermordet, im gleichen Jahr fiel der afghanische Botschafter, ein Onkel des Königs, in Berlin einem Anschlag zum Opfer. In den 30er-Jahren bezog Afghanistan zwei Drittel seiner Investitionsgüter-Importe aus Deutschland. Im Zweiten Weltkrieg war Afghanistan neutral, was weder den Briten noch den Deutschen gefiel. Berlin versuchte mit Putschplänen (Codename: „Amanullah-Projekt“) den inzwischen im römischen Exil lebenden Exkönig gegen König Safir Schah als Marionette einzusetzen. Die Briten ihrerseits drängten auf die Internierung der in Afghanistan lebenden 180 Deutschen. Kabul trotzte den Briten deren ungehinderte Rückreise nach Deutschland ab. Wer nicht ins Dritte Reich wollte, dem gewährte Afghanistan Asyl. Nach dem Weltkrieg wurde Afghanistan in den 60er-Jahren zu einem Hauptempfänger bundesrepublikanischer Entwicklungshilfe. 1952 eröffnete in München ein afghanisches Kulturamt, 1966 öffnete in Kabul das Goethe-Institut, zahlreiche Afghanen gingen zum Studium nach Deutschland. Nach Putsch und sowjetischer Invasion wurden viele westdeutsche Projekte in Afghanistan von der DDR eingestellt oder übernommen. Mit der Hotaki-Oberschule baute die DDR eine „eigene“ deutschsprachige Schule auf und nahm afghanische Studenten auf. Nach dem Abzug der Sowjets 1989 leistete Deutschland vor allem humanitäre Hilfe. Noch bis Jahresende hat Deutschland den Vorsitz bei „Afghanistan Support“, einem Zusammenschluss der wichtigsten Geberländer. Die Gruppe wird sich ab 5. Dezember in Berlin trefffen.
Von den 85.000 in Deutschland lebenden Afghanen leben ein Viertel in Hamburg. In Deutschland haben inzwischen Flüchtlinge aller Fraktionen Schutz gefunden, doch viele haben nur einen Duldungsstatus. Nach Angaben des Afghanischen Kommunikations- und Kulturzentrums in Berlin entstammen 90 Prozent der in Deutschland lebenden afghanischen Flüchtlinge der Mittel- und Oberschicht. SVEN HANSEN
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