: Alles oder schief oder nichts
Neustart am anderen Ort mit bekanntem Format ohne böse Absichten: Brillowskas Club Adorator zieht nach Kampnagel ■ Von Arsen Dedic
Es gibt ein Paralleluniversum in Hamburg, dort leben Sex Zwerge, depressive Zyklopen, zynische Zauberer und ein ganzer Haufen wundervoller Elfen, die auch mal zuschlagen können. All diese merkwürdigen Gestalten treffen immer dann aufeinander, wenn die Königin mit der strengen Stimme, Mariola Brillowska, sie ruft. Letztes Jahr geschah dies unter dem Passwort Club Adorator immer wieder im Westwerk. Die Nächte mit den verrückten Gestalten erwärmten die Hamburger Tiefdruckgebiete und machten so die Nächte lebenswert. Der Club Adorator ist mit seiner Gastgeberin Brillowska und seinen illustren Gästen immer so etwas wie ein anhaltendes Weihnachtsgeschenk gewesen. Ein Dauerlutscher für den langen Abend, der vorher in eigenartige Narkotika getaucht war. Jetzt zieht die polnische Zeichentrickfilmerin mit ihrer Gefolgschaft weiter nach Kampnagel. Die Kulturfabrik in Barmbek hat extra für sie den ehemaligen Club N&K umgebaut. Mit dem ersten Abend wird dort gleichzeitig die neue Ära der Kampnagel Music Hall eingeweiht.
Am Beispiel des Club Adorator und der Kampnagel Music Hall lässt sich ganz gut die zukünftige Strategie der Kulturfabrik ablesen. Während das Schauspielhaus unter Tom Stromberg in seine erste Saison vor allem mit etwas gewagteren Inszenierungen gestartet ist, um einen Stilwechsel deutlich zu machen, fährt die Intendantin Gordana Vnuk mit der Kuratorin des Clubs, Eva Stüting, auf Kampnagel eine andere Schiene. Sie zeigt in der großen Halle k6 vor allem ausländische Spektakel von musicalhaftem Ausmaß. Auf diese Weise kriegt sie die Hütte voll und gewinnt Zuschauer, die sonst eher zu Lord Of The Dance oder dem König der Löwen gehen. Gleichzeitig laufen in den kleineren Spielstätten zuThemenblocks zusammengefasste Minifestivals, wie der Bilderstürmer-Komplex Anfang November oder die im Januar anlaufende Body-Art Season. Mit der Kampnagel Music Hall sollen wiederum Zuschauer angelockt werden, die sehr gut ohne Theater leben können.
Ob diese Klientel dann auch die Performances und Theaterstücke besucht, steht auf einem anderen Blatt. Bis jetzt haben es vor allem die Berliner Volksbühne und in letzter Zeit das Züricher Stadtheater geschafft, ein heterogenes Publikum anzulocken. Dies geschah dann aber auch mehr über die genreübergreifenden Stücke auf der großen Bühne und weniger durch ein cooles, begleitendes Clubprogramm. Wie dem auch sei, heute legt Brillowska jedenfalls mit ihrer Bagage in Barmbek los. In der Vergangenheit konnte man niemals genau erahnen, was ein Club Adorator-Abend bringen würde. Gäste wie Jaques Palminger, Stereo Total, polnische Experimentalfimer oder Junge Hunde waren immer unberechenbar. Oft zog sich der Club Adorator in die Länge, faserte aus, um sich plötzlich an einer unerwartete Stelle wieder zu einem Höhepunkt aufzubauschen.
Der große Anteil an Freistilmoderation, chaotischer Dramaturgie, parallel laufenden Kleinaktionen und ständigem Alkoholausschank verhält sich wie ein ewiges gemeinsames Solo verschiedener Instrumente, die an nicht vorhersagbaren Punkten zusammenlaufen zu einer schönen oder schrägen Melodie. Heute Abend erwarten Sie Manuel Muerte mit seinen Zauberhänden, Viktor Marek von Dogymoto stellt seine neue Maxi für Matthew Herberts Label Lifetime vor, Reznicek aus Nowa Huta wird den Gästen sexy Sätze ins Ohr flüs-tern, der Puppet Masta Max Turner wird herumrappen, Gloria und Carl präsentieren eine Jugendmodeschau, Felix Kubin wird von dem geklonten Schaf Dolly ersetzt werden, DJ Schuhe spielt seine Schnürsenkel, und Mariola Brillowska zeigt zum ersten Mal das Video Hotel Super Nova, das VIVA ZWEI bei ihr und Kubin in Auftrag gegeben hat. Damit niemandem etwas Böses zustößt, wird die Kampnagel Music Hall in einen Jugendclub verwandelt. Das Gute kann kommen, und heute Abend wird nichts schief gehen, oder eben alles. Und das ist dann auch gut.
heute, 22 Uhr, Kampnagel
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