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„Das ist nicht mehr Amerika“

Oder ist das doch Amerika? Radikale Gesetzesverschärfungen und Einschränkungen von Freiheiten werden von den meisten Amerikanern begrüßt

aus Washington MICHAEL STRECK

Im Krieg gelten andere Gesetze. Mit dieser Rechtfertigung höhlt die amerikanische Regierung systematisch die Verfassung aus. Justiz, Polizei und Geheimdienste werden an der Heimatfront mit immer neuen Befugnissen ausgestattet. Jüngster Schritt: Die Bush-Regierung ermächtigt die Einwanderungsbehörde, Ausländer selbst dann weiter einzusperren, wenn ein Richter ihre Freilassung angeordnet hat. Die Behörde muss nur angeben, dass sie den Verdächtigen für ein Sicherheitsrisiko hält. Ein Nachweis ist nicht nötig. Justizminister Ashcroft möchte noch weiter gehen: Die Überwachung religiöser und politischer Gruppen durch Einschleusung von Informanten soll dem FBI erleichtert werden. Ebenso soll das Amt einen besseren Zugriff auf Telefon- und Internet-Unterlagen bekommen.

Vor zwei Wochen hatte Präsident Bush bereits angekündigt, mutmaßliche ausländische Terroristen vor Militärtribunale zu stellen. Solche Sondergerichte tagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, lassen Beweismittel aus geheimen Quellen zu und verweigern dem Angeklagten, sich seinen Anwalt selbst auszusuchen. Außerdem besteht gegen ein Urteil keine Einspruchsmöglichkeit. „Justice by Geography“, nannte die Washington Post diese Tribunale. Vizepräsident Dick Cheney weiß das. Er misst die Welt mit zweierlei Maß. „Ausländische Terroristen verdienen nicht die gleichen Rechte wie amerikanische Staatsbürger.“

Ermächtigungen, die in einem Rechtsstaat völlig unüblich sind, werden erteilt. Ermittler dürfen fortan vertrauliche Gespräche zwischen Untersuchungshäftlingen und ihren Anwälten abhören. Ashcroft beschwichtigt, es handle sich um eine Ausnahmeregelung, die wenige betreffe. Doch der Begriff „Verdächtige“ wird weit gefasst: Seit dem 11. September wurden rund 1.100 Menschen ohne Anklage inhaftiert. Was mit ihnen im Gefängnis passiert – darüber schweigt sich die Regierung aus. Nicht einmal Menschenrechtsorganisationen verfügen über Informationen, da sie keinen Kontakt zu den Inhaftierten bekommen. Erst nach massivem politischem Druck bequemte sich Ashcoft, die Namen von 90 Verhafteten und die Herkunftsländer von 548 Gefangenen mitzuteilen.

Im Visier der Fahnder sind vor allem Muslime arabischer Herkunft. 5.000 verdächtige Personen werden in den nächsten Wochen Besuch von FBI-Agenten bekommen. Dabei handelt es sich um junge Ausländer, die mit einem Studenten- oder Geschäftsvisum in die USA eingereist sind. Neue Visa werden an Männer aus arabischen Staaten ohnehin kaum noch ausgestellt. Angesichts solch autoritärer Methoden wird auch im Kongress zunehmend Kritik laut. „Das Recht wird auf den Kopf gestellt und viele bezweifeln den Nutzen für unser Land“, sagt der demokratische Senator Patrick J. Leahy, Vorsitzender des Justizausschusses. Er beklagt zudem, das Weiße Haus habe das Parlament umgangen. Ashcroft soll vor dem Justizausschuss kommende Woche Stellung nehmen.

Ende Oktober hatte die Bush-Regierung mit großer Mehrheit im Kongress ein umfangreiches Gesetzespaket mit Namen „Patriot Bill“ zur Terrorbekämpfung verabschiedet. Dieses ermächtigt FBI und CIA, „angemessene Mittel zur Verhinderung von Terrorismus“ bereitzustellen. Dazu gehören Telefonüberwachung ohne richterliche Anordnung oder geheimes Kopieren von Computerdaten. Kritiker monieren, dass so Strafverfolgung zur Inlandsspionage verkomme.

Auch andere US-Regierungen haben in Krisenzeiten den Rechtsstaat ausgehebelt. So wurden im Zweiten Weltkrieg 100.000 Amerikaner japanischer Abstammung ohne konkreten Verdacht interniert – aus Angst, sie könnten Sabotage betreiben oder spionieren.

Ob die „Patriot Bill“ Amerika sicherer machen, ist zweifelhaft. Immer mehr Stimmen meinen, die Terroranschläge vom 11. September wären mit solchen Gesetzen nicht verhindert worden. Bürgerrechtler weisen zudem darauf hin, dass das US-Rechtssystem auch ohne Ermächtigungsgesetze funktioniere. Die Urheber der Anschläge auf das World Trade Center von 1993 und der Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh seien von regulären Gerichten verurteilt worden.

„Ein Gefühl, in einem Entwicklungsland zu leben“, beschleicht James Zogby, den Präsidenten des Arab American Institute. „Militärtribunale, Einsperren ohne Anklage – das ist nicht mehr Amerika. In einigen Jahren werden wir uns fragen, warum wir dies zugelassen haben.“

Nach jüngsten Umfragen darf sich die Bush-Regierung in ihrer harten Haltung jedoch bestätigt fühlen. Immerhin 59 Prozent der befragten Amerikaner befürworten die Einrichtung von Militärtribunalen. 73 Prozent finden es legal, wenn FBI und CIA Gespräche zwischen Anwälten und Angeklagten abhören.

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