piwik no script img

Glanzpostkarten mit Skyline

Vor einer Bar wird man von Bundesgrenzschutzbeamten abgefangen, in einer anderen ist man froh, einmal nicht über Afghanistan reden zu müssen: Das Ausgehen in Kriegszeiten ist nicht einfacher geworden. Aufregend ist es aber noch immer

von REIMUND SPITZER

Seit ein paar Tagen hängen in Prenzlauer Berg wieder, wie 1991, weiße Tücher und pazifistische Transparente von Fenstern und Balkonen: „Keine Vergeltung!“, „Keine Solidarität mit Mördern!“, „Umdenken statt Henken“. Aber noch sind sie vereinzelt und selten, noch führen sie Randexistenzen und flattern einsam im kalten Herbstwind.

Der Schockzustand, der nach dem 11. September die Gespräche auch der Leute bestimmte, die ihr waches Leben vorwiegend auf Partys verbringen, ist in eine Lethargie übergegangen, unter der eine subtile Nervosität gärt. Soll man deshalb zu Hause bleiben und hoffen, dass alles irgendwie besser wird? „Nein“, antworte ich mir und mische Pathos in meine innere Stimme, „sonst hätten die gesiegt, die die Sprache der Gewalt sprechen.“ Hatte man je einen besseren Grund wegzugehen?

Die coole Camouflage-Jacke muss allerdings zu Hause bleiben, ich habe damit in den letzten Wochen komische Blicke geerntet und möchte ungern als Kriegstreiber gelten. Aber auch ohne Mode-Fauxpas kann beim Weggehen noch genug schief gehen; durch einen dummen Zufall landen ich und meine Samstagabendbegleiterin ungewollt in der Nähe des Tacheles. Die ganze Gegend dort ist inzwischen durchgereicht worden an betrunkene Deppenhorden, die auch vor dem Gebrauch von buntgestreiften Lederjacken nicht zurückschrecken. Wie Marlon Brando in „Apocalypse Now“ möchte man vor sich hin murmeln „das Grauen, das Grauen“.

Was ist in der Nähe, wo man sicher ist vor diesen Leuten? Mir fällt mein alter Kumpel Günter ein, der früher Geschäftsführer einer Kreuzberger Nobelkneipe war, die mir eine schöne Zeit lang das Wohnzimmer ersetzte. Vor etwa zwei Jahren hat er seine eigene Bar aufgemacht, die unter Cocktailfreunden als Geheimtipp gehandelt wird, unter anderem, weil sie zentral und doch etwas abseits gelegen ist. Das Richtige für ein Date, das nicht jeder mitkriegen soll. Ihre Lage hat es mit sich gebracht, dass sie neuerdings, nämlich seit jenen zeitenwendenden Anschlägen, über Türsteher der besonderen Art verfügt. Sie befindet sich nämlich direkt neben der amerikanischen Botschaft.

Dunkelgrüne uniformierte Bundesgrenzschutzbeamte fangen alle sich der Bar nähernden Nachtwanderer ab und schicken sie zu einem weißen Bürocontainer, der mitten auf die Straße gestellt worden ist, umgeben von rotweißen Absperrgittern und Stacheldraht. Dort werden ihre Personalien zusammen mit der Uhrzeit in ein großes Buch, das aussieht wie ein Klassenbuch, geschrieben. Die Prozedur erinnert ein wenig an alte DDR-Grenzübergänge. Den Hinweis „Und denken Sie daran, sich beim Verlassen des Lokals wieder abzumelden“, kommentiere ich mit einem „jawohl“.

Günter ist guter Dinge, sie haben ihm für die erste Woche nach den Anschlägen, als seine Bar ganz dichtgemacht worden war, eine Entschädigung gezahlt, und seit wieder offen ist, waren, sagt er, schon Journalisten aus dem ganzen Land da und sogar das Fernsehen. Er spricht mit dem unterdrückten Stolz von einem, der ins Licht der Öffentlichkeit geraten und dabei ganz bescheiden geblieben ist.

Nach ein paar in Sicherheit geschlürften Mojitos gewinne ich meine Unternehmungslust zurück und schlage vor, „in die Chausseestraße“ zu gehen. Gemeint ist ein Ort in besagter Straße, hinten auf einem Gewerbegelände in einer Art Fabrikhalle, die ohne Namen auszukommen scheint. Manche nennen es „das neue Finks“, andere „das neue Kunst+Technik“. Noch andere sagen, dass beides verkehrt ist. Tatsächlich ist es eine Mischung aus beidem. Eine interessante Entwicklung: Früher waren Namen für Clubs fast das wichtigste. Heute kommen sie ohne aus. Ich gerate prompt in eine Diskussion zum Thema: Ist das „Anti-Branding“?, ist das ein neuer Trend, und wenn ja: ist es damit nicht eine neue, noch perfidere Form von Branding? Ich philosophiere ein wenig mit und bin froh in einem Gespräch zu sein, bei dem es einmal nicht um New York oder Afghanistan geht. Die Drinks hier sind so stark, dass man nach zwei Whiskey-Cola so hinüber ist wie mit 16 auf der Dorfkirmes.

Leider ist das Nichtkonzept des Anti-Brandings mittlerweile so gut aufgegangen, dass man für den Getränkeerwerb lange Wartezeiten in Kauf nehmen muss. Später dann im WMF ist alles wie immer. Ein paar Jungs machen Musik mit ihren Laptops. Die Crowd wirkt etwas intellektueller als früher. Nach einer Weile erst bemerke ich, dass sich in die Visuals, die die Tanzfläche umgeben, immer wieder Bilder von Flugzeugen mischen, die aussehen wie Jagdbomber.

Am Sonntag schaffe ich es noch zu einer Wohnungseinweihungsfeier in einem der Riegel in der Leipziger Straße. Schon lange ein neuer Szene-Wohntrend: die Neuverwertung authentischer DDR-Architektur. Ich bewundere die schicke holzvertäfelte Durchreiche und lausche auf dem Balkon dem urbanen Sound: Die sechsspurige Gerade reizt Groß und Klein zum Gasgeben. Alle Leute hier haben wilde Achtzigerjahre-Klamotten an. „Verdammte Postmoderne“, denke ich, „am Ende ist das Wiedererwachen der Friedensbewegung auch nur so ein Retro-Ding.“

Ich werde in Gespräche über Verschwörungstheorien gezogen. Es beginnt mit 11+9+2+0+0+1=23 und landet irgendwann dabei, dass die Amerikaner bei Pearl Harbor auch Bescheid gewusst haben. Dann erzählt mir ein langer Typ mit Brille, dass die US-Regierung mit Hollywood-Regisseuren und Drehbuchautoren zusammenarbeitet, um mehr über Szenarien für künftige Anschläge zu erfahren. Zu der von mir aufgeworfenen Frage, was die Bundesregierung wohl von deutschen Drehbuchautoren Neues erfahren könnte, fällt leider keinem von uns etwas ein.

Zum Ausklang des Wochenendes und Einleiten der neuen Woche gönne ich mir die tolle Montagsbar mit Aussicht auf den Fernsehturm, wo es alles gibt, was man früher an Wochentagsbars schätzte: billige Drinks, billige Boxen und Leute, die aussehen wie in der Cabinet-Lights-Werbung. Als ich versonnen, einen Gin Tonic in der Hand, auf die durch den Nachtdunst blinkenden Lichter schaue, meint die Frau, die neben mir steht, sie habe nach den Anschlägen den Traum gehabt („ungelogen!“), der Fernsehturm sei so von einem Flugzeug getroffen worden, dass seine Kugel heruntergefallen und ein mal quer durch die ganze Stadt gerollt sei, eine Spur der Verwüstung hinter sich her ziehend. Neben das Aussichtsfenster hat jemand Glanzpostkarten an die Wand gehängt. Sie zeigen die alte New Yorker Skyline bei Nacht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen