: Allohnmachts-Fantasien
Bei der Tagung zur „Zukunft der Bürokratie“ in Weimar wurde deutlich, wie der Traum von der Selbstabschaffung schon immer in die moderne Verwaltung eingeschrieben war
Die moderne Bürokratie zielt auf ihre Selbstabschaffung. Ein guter Verwalter zeichnet sich durch die Tendenz zur Verschlankung und Effizienzsteigerung aus – zum Beispiel die deutsche Bundesregierung in ihrem rot-grünen Übergangsstadium. Beruhen nicht die medialen Teilerfolge des Bundeskanzlers selbst noch in Kriegszeiten auf dem Image des Moderators, mit dem ein Schröder sich vom patriarchalischen Vorbild Kohl abzusetzen weiß?
Aber man braucht gar nicht bis in die Etagen der Bundespolitik zu steigen, um dem bürokratischen Selbsthass auf die Spur zu kommen.Vor allem auf der lokalen Ebene hat der „aktivierende Staat“ eine glänzende Zukunft vor sich: Ohne die Vision vom zentralen Bürgerbüro oder dem Lohnsteuerformular im Internet braucht sich heute kein Staatsbeamter mehr für die höhere Laufbahn zu bewerben.
Die Bürokratie ist auf dem besten Wege, sich mittels Sponti-Liberalismus und Elektronik selbst abzuschaffen, dies zumindest predigen Lichtgestalten der Managerschulung wie Tom Peters oder Hermann Hill. In Weimar beim Kongress zur „Zukunft der Bürokratie“ zeigte jetzt der Konstanzer Soziologe Ulrich Bröckling, wie sehr sie sich dabei in ihrem Jargon die Semantik des libertären Anarchismus untertan machen. Der Systemtheoretiker Dirk Baecker hingegen hätte wahrscheinlich zur Vorsicht gemahnt: Denn Sponti-Management hin oder her – wer plant, gewinnt Zeit: Zeit für die Selbstbeobachtung, aber auch, um den eigenen Plan wieder über den Haufen zu werfen. Bürokratische Allohnmachts-Fantasien haben hier genauso ihren Ursprung wie die Hoffnung auf produktive Irritation.
Doch Dirk Baecker glänzte durch Abwesenheit, als sich Ende vergangener Woche ein kleines Häufchen von Kultur- und Medienwissenschaftlern, Politologen und Soziologen in Weimar einfanden um, weitgehend unter sich, „Die Zukunft der Bürokratien“ zu diskutieren. Planungs-Irritationen, sprich: die eigenen Studenten, hatten den Guru der jungdynamischen Systemtheorie zur kurzfristigen Absage veranlasst. Er befand sich damit übrigens in guter Gesellschaft: Mit dem Hannoveraner Hubert Treiber blieb der einzige geladene Verwaltungswissenschaftler der Tagung ebenso fern wie der Wiener Kriegsphilosoph Wolfgang Pircher. Und selbst den Spiritus Rector der Veranstaltung, den Medienphilosophen Josef Vogl von der Weimarer Bauhaus-Universität, zog es da lieber zur großen Konferenz des Max-Planck-Instituts nach Berlin.
Der Veranstalter zumindest – die „Stiftung Weimarer Klassik“ mit ihrem Nietzsche-Kolleg – scheint nicht drumherum zu kommen, sein Planungspotenzial weiterer Prüfungen zu unterziehen. Noch scheint das kleine Kolleg in der großen Klassikbürokratie – unlängst von der Bundesregierung sehr wohlwollend alimentiert – seine Hausaufgaben in Sachen Organisation eher einem freien Spiel der Kräfte zu überlassen.
Aus dem großen interdisziplinären Streit über die Zukunft der Bürokratie wurde so nichts, die Kultur- und Medienwissenschaften blieben in Weimar unter sich. Schade. Man merkte es dem Neu-Weimarer Bernhard Siegert – medienwissenschaftlicher Import aus Berlin – an, wie sehr er sich auf den Streit mit Dirk Baecker gefreut hatte. Gemeinsam mit dem jungen Bremer Psychologen Christoph Engemann und dem Soziologen Ulrich Bröckling gab Siegert der Tagung ihr Format.
Statt der systemtheoretischen Formanalyse dominierte damit der mediale Außenblick auf das Phänomen Bürokratie. Und tatsächlich schrieben die Kulturwissenschaftler den fröhlichen Anarchisten vom Nietzsche-Kolleg vor allem eine Lehre ins Stammbuch: dass das freie Spiel der Kräfte keineswegs das Gegenteil von Bürokratie sei.
Die allseits erhoffte „Zukunft der Bürokratie“ – ihre Abschaffung – nämlich war ihr immer schon eingeschrieben. Schon Preußens Beamte zumindest gehorchten Friedrichs II. Imperativ des Selbstregierens – dem berühmten „Befehl zum Selberdenken“ von 1770. Die elektronische Bürokratie des „virtuellen Rathauses“, die Hoffnung aufs Internet, schreibt diesen Befehl in die Zukunft fort – dies zumindest legte der Vortrag Christoph Engemanns nahe, der akribisch die ersten Anzeichen eines E-Government unter der rot-grünen Bundesregierung analysierte.
Auch der hier anvisierte Rückzug des Staates vom Vollzug der öffentlichen Aufgaben auf ihre Gewährleistung zielt ganz wie die Politik Friedrichs des Großen auf die bürokratische Selbstverwaltung jedes einzelnen Bürgers.
Wenn wir künftig selbst für die Verwaltung unserer Rente sorgen müssen, so ist dies nur das erste Beispiel. Ökonomen sprechen hier manchmal von Neoliberalismus. Der Psychologe Engemann sagt das anders. Er sagt den erstaunlichen Satz: „Die neue Bürokratie zielt auf das Hervorbringen von Subjektivität ab.“
Kulturwissenschaftler wie Bernhard Siegert hingegen zeigen: Das war schon immer so. In seinem genealogischen Parforceritt durch die 600-jährige Geschichte der Bürokratie seit Philipp II. zeigte Siegert vor allem eines: Schon immer haben sich die Bürokratien ihre Zukunft geschrieben und sie im Einzelnen festgeschrieben. Ob es die Registratur der Passagiere in die Neue Welt vor 500 Jahren war oder das elektronische Passwort im neuen Staate Microsoft – die Ausgangsfrage war immer von dem Versuch gesteuert, Migrantenströme vorauseilend und im Einzelnen zu berechnen. Der Algorithmus beherrschte auch schon das 15. Jahrhundert.
FRITZ VON KLINGGRÄF
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