: Fragwürdiges Gemeinwohl
■ Zweite Klage gegen Bebauung der Osterholzer Feldmark abgewiesen / Anwalt des Klägers kritisiert die mögliche Enteignung / Revision angestrebt
Ganze 45 Minuten Beratungszeit brauchte das Bremer Oberverwaltungsgericht (OVG) gestern, um eine weitere Anwohner-Klage gegen die bauliche Entwicklung der Osterholzer Feldmark abzuweisen. Im März 1999 hatte die Stadtbürgerschaft mit der Ausweisung eines „Entwicklungsbereiches“ die Voraussetzung für die Enteignung der Grundeigentümer auf dem gut 240 Hektar großen Gebiet im Bremer Osten geschaffen. Im Ortsgesetz ist festgeschrieben, dass dort 1.700 Wohneinheiten, in der Mehrzahl Einfamilienhäuser, ein 30 Hektar großes Gewerbegebiet und ein „Landschaftspark“ entstehen.
Hier setzt Anwalt Rüdiger Nebelsieg, er vertritt den Kläger, mit seiner Argumentation an: Seit der Ausweisung noch weit größerer Gewerbeflächen in der Arberger und Mahndorfer Marsch sieht selbst die Verwaltung für das Gewerbegebiet, das am südlichen Rand parallel zur Bahnlinie geplant war, keinen Bedarf mehr. Sie will die dafür vorgesehene Fläche der Wohnbebauung zuschlagen. Für den Hamburger Anwalt ist mit dieser Änderung das ganze „Entwicklungsgesetz“ hinfällig: „Man kann da nicht einfach eine neue Zielsetzung hineinstellen.“
Gleich in mehreren Punkten zieht er das von der Stadt angeführte Gemeinwohl-Interesse in Frage. So gebe es etwa für den als Naherholungsgebiet geplanten „Landschaftspark“ in dieser Größe gar keinen Bedarf. Ein pauschaler Verweis auf eine Ausgleichsfläche, wie sie beim Bau der vorgesehenen hochwertigen Einfamilienhäuser nötig werde, reiche als Begründung nicht aus. Zudem sollten lediglich zehn Prozent des „Parks“ öffentlich zugängliches Naherholungsgebiet werden. Die restliche „Park“-Fläche will die Stadt wieder an andere Interessenten verpachten – etwa an Pferdehalter. Nebelsieg hält das erst recht für unzulässig: „Das ist eine Enteignung zugunsten privater Interessen.“
Der Mangel an Bauplätzen für Einfamilienhäuser, von Verwaltungsseite als Hauptgrund für das Planungsvorhaben angeführt, stellte Kläger Joachim Fortkamp ebenfalls in Frage. In Bremen gebe es anteilmäßig weit mehr Ein- und Zweifamilienhäuser als anderswo. Bauplätze in anderen Neubaugebieten verkauften sich nur schleppend. Bestätigt fühlt Fortkamp sich durch einen Brief des Planungsamtes vom März dieses Jahres, in dem das Amt bestätigt, dass seit 1998 lediglich 72 Personen Interesse am Bau eines Hauses in der Osterholzer Feldmark bekundet hätten.
Die im Verein Osterholzer Feldmark zusammengeschlossenen AnwohnerInnen, von denen sechs bereits im Herbst letzten Jahres einen ähnlichen Prozess vor dem OVG verloren haben, werfen der Stadt vor, auf ihre Kosten eine „Bodenbevorratungspolitik“ zu betreiben. So kalkuliere diese mit einer um 60 Prozent über dem tatsächlichen Bedarf liegenden Reserve an Bauplätzen. Auch der „als Naherholungsgebiet getarnte Landschaftspark“ (ein Anwohner) sei nur weiteres potentielles Bauland.
Rechtsanwalt Nebelsieg zog denn auch gegen das „scharfe Schwert“ des Enteignungsrechtes zu Felde, das in Bremen allzu leichtfertig verwendet werde, um Bauvorhaben durchzuführen. Die tatsächlichen Hausbauwünsche, so sind auch die im Publikum sitzenden Grundeigentümer an der Osterholzer Feldmark überzeugt, ließen sich nämlich allein mit normalen Bebauungs- und Umlegungsplänen befriedigen. In diesem Fall könnten sie ihr Land den BauherrInnen dann nach Bedarf und zu Baulandpreisen verkaufen. Beim „Entwicklungsmodell“ hingegen kauft die Stadt die gesamte Fläche auf – für 25 Mark pro Quadratmeter.
Das gestern ergangene Urteil hat keinen der Beteiligten überrascht. Kläger Fortkamp will dennoch nicht aufgeben und eine Revision einklagen. Anwalt Nebelsieg erklärt: „Das war nur der erste Schritt..“ Die nächste Instanz wäre das Bundesverwaltungsgericht in Berlin. hoi
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