: Mehr Schutz vor Drückern
Europäischer Gerichtshof: Auch Kredite an der Haustür können wiederrufen werden. Deutsche Regelung widerspricht EU-Recht, BGH muss über Altfälle entscheiden. Anwälte erwarten Welle von Schadensersatzforderungen gegenüber Banken
von C. RATH und M. KREUZFELDT
Rund 300.000 geprellte Anleger können neue Hoffnung schöpfen. Gestern entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass es auch für an der Haustür geschlossene Kreditverträge ein Widerrufsrecht gibt. Im deutschen Recht war dies bisher nicht vorgesehen.
Vor allem in der Zeit nach der Wende in Ostdeutschland wurden viele Bürger von Drückerkolonnen an der Haustür zu ungünstigen Immobiliengeschäften überredet. Sie kauften ein Haus oder eine Wohnung, die (dank Steuervorteilen) gute Rendite versprachen, und schlossen gleichzeitig einen Kreditvertrag, um den Kauf zu finanzieren. Dann aber blieben Mieter aus und der Wert der Anlage war deutlicher niedriger als angenommen. So können bei einem langfristigen Kreditvertrag über 300.000 Mark durchaus Finanzierungskosten von 600.000 Mark hinzukommen. Verbraucherschützer schätzen, dass ein Gesamtschaden in Milliardenhöhe entstanden sein könnte.
Umstritten war nun allerdings, ob solche Haustürgeschäfte einem Widerrufsrecht unterliegen. Das deutsche Recht nahm Kreditverträge, die durch ein Grundstück gesichert werden, vom Verbraucherschutz ausdrücklich aus. Das hat der EuGH moniert. Der Bundestag ist damit zumindest verpflichtet, das deutsche Recht mit Wirkung für die Zukunft nachzubessern.
Das nächste Wort hat nun der Bundesgerichtshof (BGH), der dem EuGH den Fall zur Klärung vorgelegt hatte.Wenn der BGH sagt, der Wortlaut des deutschen Rechts ist so eindeutig, dass ein Widerruf nicht in Frage kommt, dann gehen die Anleger erst einmal leer aus. Sie könnten dann höchstens vom deutschen Staat Schadensersatz verlangen.
Wenn der BGH nun aber mutig ist, könnte er auch für Altfälle ein Widerrufsrecht zubilligen. Dies würde dann für sehr viele der bisherigen Haustür-Realkredite gelten. Zwar sieht das deutsche Recht bisher vor, dass ein Widerruf auch bei fehlender Unterrichtung durch den Vertragspartner spätestens binnen eines Jahres geltend gemacht werden kann. Doch der EuGH hat gestern auch diese Frist als EU-widrig gekippt. Der Göttinger Verbraucheranwalt Reiner Fuellmich vertritt mehrere tausend Geschädigte und erwartet nun, dass 80 Prozent der an der Haustüre vermittelten Immobilien unter diese Rechtssprechung fallen. Eine Sprecherin der HypoVereinsbank spielte die Bedeutung des Urteils gegenüber der taz herunter: „Wir erwarten zunächst keine unmittelbare Auswirkung auf unsere Verträge, weil in jedem Einzelfall geprüft werden muss, ob eine Haustürsituation vorlag.“
Bisher hat die HypoVereinsbank die Ansicht vertreten, dass die Bundesregierung bei einer eventuellen Schadensregulierung einspringen müsste, weil sich die Banken auf Bundesgesetze verlassen hätten. Nach Ansicht der Geschädigten-Anwälte kommen die Banken damit aber nicht durch: Es lägen bankeninterne Unterlagen vor, nach denen die Banken selbst die Rechtslage so einschätzten, wie es nun vom EuGH bestätigt wurde.
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