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„Kein Befehl, Arafat anzugreifen“

Israel bricht alle Kontakte zu Arafat ab. Regierung erklärt dazu, man werde ihn „nicht persönlich angreifen“. Palästinenser sprechen von Kriegserklärung

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Mit dem Abbruch aller diplomatischen Kontakte zur palästinensischen Führung, neuen Luftangriffen und dem Einrücken in die Autonomiegebiete reagierte Israel gestern auf den Überfall auf einen Bus im Westjordanland, bei dem am Mittwochabend zehn jüdische Siedler ermordet worden waren. Die Regierung in Jerusalem machte Palästenserpräsident Jassir Arafat „direkt verantwortlich für die Attacken“, deshalb sei er fortab für Israel „irrelevant“. Justizminister Scheetrit hielt es bezeichnenderweise für nötig zu versichern, es gebe „keine Direktive, ihn persönlich anzugreifen“. Das Verteidigungsministerium will „in Kürze die Anpassung der Operationsmethoden gegen die Hamas, den Islamischen Dschihad und andere Terrororganisationen“ präsentieren.

Die israelischen Luftangriffe begannen bereits gegen 21.00 Uhr am Mittwochabend. Mit Raketensalven, die von F-16-Kampfflugzeugen abgefeuert wurden, attackierten die Soldaten den internationalen Flughafen von Gaza und Arafats dortiges Hauptquartier. Eine Palästinenserin starb bei den Angriffen an einem Schock. Auch im Westjordanland wurden zahlreiche zivile Einrichtungen bombardiert, darunter der palästinensische Fernsehsender. Militärhubschrauber nahmen die Regierungsgebäude in der Stadt Ramallah unter Beschuss. Palästinenserpräsident Jassir Arafat war, so lauteten Berichte, erst kurz zuvor aus dem Gebäude evakuiert worden. Soldaten drangen ferner in das Haus von Marwan Barghouti ein, dem Chef der Tansim im Westjordanland, der gesucht wird, weil er das Kommando zu mehreren Schussübergriffen auf jüdische Siedler gegeben haben soll (siehe unten). Ein Palästinenser starb bei den Attacken, zahlreiche weitere Menschen wurden verletzt. Über weite Teile der Stadt wurde eine Ausgangssperre verhängt. Ähnliche Szenen spielten sich in Nablus und in Jenin ab.

Die Entwicklungen der letzten 24 Stunden reichen nahe an ein Worst Case Scenario. Sehr viel schlimmer kann es jetzt kaum noch kommen. Nicht zu Unrecht reden die Palästinenser von einer Kriegserklärung. „Es ist unmöglich, unsere Verpflichtungen im Schatten dieses umfassenden Krieges zu erfüllen“, meinte Informationsminister Jassir Abed Rabbo. Solange Arafat „Hände und Füße gebunden sind“, so auch Friedensunterhändler Saeb Erikat, brauche sich „niemand zu wundern, dass wir nichts unternehmen“. Man fragt sich, ob die israelische Führung auf eine weitere Verschlimmerung der Lage abzielt. Unveränderte Rückendeckung erreicht die Israelis aus Amerika. Die Forderungen Washingtons richten sich ausschießlich an die Palästinenser, die „umgehend die Extremisten verhaften sollen“.

Immer wieder hatte Jassir Arafat appelliert, ihm nur einige Tage Handlungsraum zu lassen. Israels Premierminister Ariel Scharon lehnte ab, wohl wissend, dass er zu viel erwartet, wenn er von „hundertprozentiger Ruhe“ spricht. Ungeachtet auch der Vermittlungsversuche des amerikanischen Nahostgesandten Anthony Zinni, der sich ebenfalls für eine 48-stündige Feuerpause stark machte, setzten die Israelis ihre Strategie der – so der offizielle Wortlaut – „Präventivschritte“ fort, so die Exekutionen potenzieller Terroristen. Die jüngste Spirale der Gewalt begann mit dem blutigen Wochenende in Jerusalem und Haifa, wo insgesamt 26 Israelis ums Leben gekommen waren. Seither verstärkte die israelische Regierung die Angriffe auf palästinensische Ziele. Allein in dieser Woche starben über zehn Menschen, darunter Kinder.

Während Arafat seinen guten Willen mit Verhaftungen zu demonstrieren versuchte, entschied das „Küchenkabinett“ Ariel Scharons über eine Verschärfung der Maßnahmen. Ab sofort sollte jeder Angriff mit Mörserraketen mit Luftangriffen beantwortet werden, hieß es vor wenigen Tagen, ungeachtet der Tatsache, dass bereits über einhundert Aktivisten der palästinensischen Widerstandsgruppen hinter Gittern saßen oder zumindest unter Hausarrest gestellt waren. Doch erst wenn die Verhafteten verhört würden, was zu weiteren Verhaftungen und dem Aufbrechen „terroristischer Ketten“ führen würde, gäbe man sich zufrieden, verlautete aus Jerusalem. Die Ankündigung von vier zentralen Widerstandsgruppen, von Angriffen im israelischen Kernland vorerst abzusehen, stieß ebenso auf taube Ohren wie die jüngste Maßnahme der palästinensischen Führung, sämtliche Einrichtungen von Hamas und Islamischem Dschihad auf unbestimmte Zeit zu schließen.

Gerade jetzt, wo endlich konkrete Maßnahmen zu erkennen sind, reißt die Geduld der Israelis. Von Schimon Peres, der in seiner Funktion als Außenminister und enger Freund Scharons bislang das Schlimmste zu verhindern wusste, keine Spur. Doch Israel wird allein keinen Ausweg aus der Misere finden. So schwierig es mit Arafat bislang war: Er ist der einzige, der momentan für Verhandlungen zur Verfügung steht.

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