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Handschlag in der Morgenröte

Um drei Uhr früh schließen SPD und PDS ihre Koalitionsgespräche ab. Sparkonzept: Senkung der Ausgaben um 2,1 Milliarden Mark durch den Abbau von 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst. Grüne: „Mogelpackung“. Ver.di kündigt Widerstand an

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Nach zwei Wochen Verhandlungsmarathon, 14 Stunden abschließender Gespräche und einem „Heureka“ um drei Uhr morgens haben sich am Donnerstag SPD und PDS auf das Regierungsprogramm für die rot-rote Koalition verständigt. Kernpunkte der Einigung bilden die Beschlüsse in der Finanzpolitik und zum Personalabbau sowie die zur Konsolidierung des Landeshaushalts.

Danach verabredeten SPD und PDS gemeinsam, die Personalkosten im öffentlichen Dienst bis 2006 um 2,1 Milliarden Mark senken zu wollen während der Bereich Bildung von den Kürzungen verschont bleiben soll. Zugleich hielten die zukünftigen Regierungspartner daran fest, ab 2009 keine zusätzlichen Schulden zur Haushaltsdeckung aufzunehmen.

Klaus Wowereit (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister, sprach gestern von einem „vertrauensvollen Ergebnis“ mit der PDS. „Wir haben nichts ausgeklammert und damit ein Fundament für fünf Jahre Regierungsarbeit gelegt“, so Wowereit. PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi betonte, es habe zwar Kompromisse bei den Verhandlungen gegeben. Die Parteien seien sich aber der „historischen Verantwortung bewusst“, erstmals gemeinsam in Berlin eine Regierung zu bilden. Über die Besetzung der Senatsposten wollen SPD und PDS im neuen Jahr entscheiden. Die neue Regierung soll Mitte Januar gewählt werden. Die SPD, sagte ihr Fraktionschef Müller, strebe darin fünf Sitze an.

Schwer- und Streitpunkte der letzten Verhandlungsrunde waren nach Aussage von SPD-Parteichef Peter Strieder die geplanten Sparmaßnahmen, bei denen die PDS schließlich eingelenkt habe. Die Personalausgaben sollen bis 2006 auf rund 13 Milliarden Mark gesenkt werden – 2,1 Milliarden Mark weniger als heute. Die Hälfte davon soll über den Abbau von rund 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst erfolgen.

Die zweite Milliarde müsse über einen mit den Gewerkschaften auszuhandelnden so genannten Beschäftigungspakt eingespart werden, betonte Wowereit. „Angesichts der katastrophalen Haushaltslage“ (rund 78 Milliarden Mark Schulden) bleibe die Regierung aber bei ihrem Ziel, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.

In der abschließenden Verhandlungsrunde waren außerdem die Bereiche Bildung und Schule, Jugend und Hochschulmedizin debattiert worden. Bei den Bildungsausgaben lenkte die SPD ein und verzichtet auf die Streichung von 1.040 Lehrerstellen. Vereinbart wurde auch, bis 2006 insgesamt 30 neue Ganztagsschulen zu öffnen. Einig waren sich beide Parteien unter der Maßgabe des Sparens, das Universitätsklinikum „Benjamin Franklin“ in Steglitz in ein normales Krankenhaus umzuwandeln und dessen Privatisierung zu prüfen. Die medizinische Fakultät der Freien Universität wird damit aufgegeben. Verkauft werden sollen die Landesanteile an der Lagerhausgesellschaft Behala und der Feuersozietät sowie Immobilien und städtische Wohnungsbestände. Eine Steuer auf alkoholische Getränke in Kneipen, wie noch von der „Ampel“ gefordert wurde, wird nicht eingeführt. Auch die Kitagebühren bleiben stabil.

Zu bereits früher getroffenen Vereinbarungen gehören unter anderem die Fortführung des Planfeststellungsverfahrens für den Ausbau des internationalen Flughafens in Schönefeld und der Verzicht auf die Bewerbung um die Olympischen Spiele 2012. Außerdem wird die Länderfusion Berlin-Brandenburg bis zum Jahr 2009 angestrebt.

Scharfe Kritik an den Sparplänen kam nicht allein von Susanne Stumpenhusen, Chefin der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die den „massiven“ Personalabbau nicht hinnehmen will. Auch die CDU, Grüne und die Wirtschaft griffen die Koalitionsvereinbarung an. CDU-Fraktionschef Frank Steffel sprach von „irreparablen Schäden für Berlin als Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturstandort“. Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz nannte die Beschlüsse zum Personalabbau eine „Mogelpackung“. Auch für den Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg, Hartmann Kleiner, ist die Personalplanung unseriös. Außerdem seien die geplanten Steuererhöhungen „standortfeindlich“.

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