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Kindersex der Gentlemen

Japan hat seine Gesetze zum Schutz von Minderjährigen vor sexueller Ausbeutung nach inter-nationalem Druck verschärft. Mit dem Unrechtsbewusstsein und der Umsetzung hapert es jedoch

aus Yokohama ANDRÉ KUNZ

„Peinlich“, sagt der Sprecher der Tokioter Polizei nur, als er zwei Tage vor dem gestern beendeten Weltkongress gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern in Yokohama zugeben muss, dass ein Polizist im noblen Viertel Azabu beim Sex mit einem minderjährigen Schulmädchen ertappt wurde. Der 29-jährige Täter gab zu, dass er in vier Wochen dafür dreimal rund 700 Mark bezahlt hatte.

Während in Yokohama, 40 Kilometer westlich der Hauptstadt über 3000 Delegierte aus aller Welt die Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern diskutierten, wurde im Lande der aufgehenden Sonne das kriminelle Gewerbe munter weiterbetrieben. Dabei machte Japans Polizei im Vorfeld des Kongresses aufsehenerregende Festnahmen. So verhaftete sie am 14. Dezember in Osaka den 41-jährigen Kenji Oki, der auf seiner Homepage 13- bis 16-jährige Schülerinnen als Prostituierte anbot. Im August wurde gar in Tokio ein Richter am obersten Gerichtshof wegen Sex mit mehreren Minderjährigen verurteilt.

Seit Japan auf internationalen Druck im November 1999 den Sex mit Jugendlichen unter 18 Jahren verbot und die Verteilung von Kinderpornographie unter Strafe stellte, wurden 1.008 Männern wegen Prostitution mit Schulmädchen und 229 Personen wegen Distribution von Kinderpornos verurteilt. „Ich finde Japan hat Fortschritte gemacht“, lobte Unicef-Geschäftsführerin Carol Bellamy das Gastgeberland der Kongresses.

Doch nur wenige hundert Meter vom Kongressort ging die Kinderprostitution munter weiter. So offen wie noch vor drei Jahren treffen japanische Geschäftsmänner zwar ihre minderjährigen „Geliebten“ nicht mehr. Aber das bezahlte Date mit der Sekundärschülerin lieben sie weiter über alles. Die Kontakte werden nicht auf offener Straße geknüpft, sondern über Kontaktanzeigern, die per Handy erhältlich sind. „Eine 14-jährige Schülerin für das Schäferstündchen in einem Stundenhotel zu finden ist denkbar einfach“, sagt Junji, ein blondgelockter Zuhälter im Rotlichtviertel von Sakuragicho, das neben dem Kongresszentrum bis nachts um drei Uhr in regenbogenfarbenen Neonlichtern glitzert. Er holt sein Handy heraus und ruft fünf Webseiten mit einschlägigen Angebote auf. Wer 600 bis 950 Mark für drei Stunden hinblättert, kann die Schülerinnen in 30 Minuten im „Lovehotel“ empfangen.

„In Japans Gesellschaft besteht nach wie vor ein großer Graben zwischen Gesetz und gesellschaftlichen Bewusstsein“, sagt Koki Abe, Rechtsprofessor an der Kanagawa-Universität. Sex mit Minderjährigen, die dem Akt zustimmen, werde als Gentlemandelikt betrachtet, sagt Abe. Junko Miyamoto, die Sprecherin der japanischen Sektion des Bündnisses gegen Kinderprostitution ECPAT („End Child Prostitition, Pornography and Trafficking“) führt das fehlende Schuldbewusstsein der Männer auf folgende Faktoren zurück: Unsicherheit im Umgang mit den erstarkenden Frauen, fehlendes Bewusstsein für Geschlechtergleichheit und traditionelles Besitzdenken gegenüber Kindern und Minderjährigen.

Vor allem Männer im fortgeschrittenen Alter suchten nach Minderjährigen. Oft seien es gar Familienväter, die zuhause Töchter im selben Alter erziehen, sagt Miyamoto. Dabei sei eine eindeutige Schuldzuweisung eher schwierig, weil die Ehefrauen oft von dem Verhalten ihrer Gatten wüssten. Die traditionell starke Stellung der Gattin zuhause würde von den Männern zwar akzeptiert, doch im Zuge des gesellschaftlichen Wandels hätten sie Schwierigkeiten, die stärkere Position junger Frauen am Arbeitsplatz zu ertragen. Diese Verunsicherung führe zur sexuellen Ausbeutung der Minderjährigen, was oft als Rache an den Frauen empfunden wird, so Miyamoto.

Hiroko Yamamoto, die Geschäftsführerin des „Asian Women and Children's Network“ in Tokio beklagt zudem die starke Verbreitung von Kinderpornos in Japan. Das Land gilt auch nach der Verschärfung der Gesetze als weltweit größter Verteiler von Kinderpornographie. Dabei stammen die Aufnahmen nicht nur aus Japan, sondern oft aus südost- und südasiatischen Ländern. Eine ganze Industrie mit Fotografen, Publizisten und Webpage-Betreibern verdient daran. In Japan selbst wüssten oft beide Elternteile über die kompromittierenden Aufnahmen ihrer Kinder. Als im Sommer ein Verteilerring von Kinderpornos im Touristenort Atami westlich von Tokio aufflog, wurden auch drei Frauen verhaftet.

Yamamoto fordert deshalb eine weit schärfere Verfolgung für Verteiler von Kinderpornographie und eine Diskussion über Pornographie im Alltag: „Das braucht eine lange Zeit, da in Japan pornographische Publikationen ausgesprochen frei gehandelt werden.“ Selbst Kinder haben mühelos Zugang zu Pornoheften, die in jedem Nachbarsladen ausgelegt sind. Der größte Teil dieser Zeitschriften bringt auf hundert Seiten bis zu vierhundert höchst erniedrigende Hardcorefotos junger Frauen, die unter dem Prädikat „Kawai“ (mädchenhaft, niedlich) besonderen Reiz auf japanische Männer auszuüben scheinen. Auch werden Männer in Nahverkehrszügen nicht aufgefordert, Comic-Hefte, in denen Vergewaltigungsszenen explizit dargestellt werden, wegzulegen, wenn Kinder im Vorschulalter neben ihnen im Abteil sitzen. Selbst die Videospielindustrie findet es nicht anstößig, Spiele aufzulegen, die rein pornographische Inhalte vermitteln. Und es kommt nicht selten vor, dass Wohnbezirke in der Nähe von Rotlichtvierteln mit einschlägigen Werbebeilagen für Erwachsenenvideos und Massagesalons in der Morgenzeitung bedient werden.

„Japans Sexindustrie mit ihrem geschätzten Jahresumsatz von 80 Milliarden Mark bietet eine derart riesige Auswahl von Vergnügungen an, dass die Grauzone der sexuellen Ausbeutung von Kindern trotz verschärftem Gesetz wohl erst nach Jahren ausgemerzt werden können“, sagt Rechtsprofessor Abe. Solange Richter, Polizisten und auch viele Lehrer als Täter überführt werden, ist es offenkundig, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern in großen Teilen der Bevölkerung verdrängt wird.

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