Stahlhelm auf dem Kopf, Koran unterm Arm

Rund 600 Muslime dienen bei der Bundeswehr, dank neuem Staatsbürgerschaftsrecht. Ihre Integration ist eine Herausforderung für die Truppe

An hohen islamischen Feiertagen gibt es Sonderurlaub. Und zum Essen eine Extrawurst

BERLIN taz ■ Skeptische Blicke ist Kazim gewohnt. Steigt er in die U-Bahn, passiert es häufig, dass ältere Damen ihre Handtaschen umklammern, der Sitznachbar den Platz wechselt. Alltag in Berlin. Doch sobald Kazim seine Bundeswehruniform trägt, sind seine Mitmenschen wie ausgewechselt. Die Skepsis weicht einem Lächeln. Aus dem verdächtigen Ausländer ist der deutsche Gefreite Kazim geworden – einer von etwa 600 Muslimen, die derzeit in der Bundeswehr dienen.

So verändert das neue Staatsbürgerschaftsrecht das Gesicht der Truppe. Rudolf Scharpings Männer und Frauen stammen mittlerweile aus 87 Nationen. In Zukunft wird das Bild der Truppe noch bunter werden. Nach einer Hochrechung des Statistischen Bundesamtes wird in zehn Jahren jeder achte Wehrdienstleistende ausländischer Herkunft sein; das sind etwa 12.000 Soldaten jährlich.

Die zunehmende Vielfalt der Religionen in Heer, Marine und Luftwaffe ist eine Herausforderung für die Bundeswehr. Denn jeder Soldat hat das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung. Wie aber soll sich ein Vorgesetzter verhalten, wenn ein gläubiger Muslim während der Dienstzeit beten oder im Ramadan 30 Tage fasten möchte?

Um Offiziere und Unteroffiziere über den Islam aufzuklären und für die Bedürfnisse der wachsenden Zahl von Muslimen zu sensibilisieren, hat das Koblenzer Zentrum Innere Führung das Arbeitspapier „Muslime in den Streitkräften“ verfasst. Es erklärt, wie sich religiöse Rechte mit dem militärischen Dienstalltag in Einklang bringen lassen. Vieles liegt dabei im Ermessen des Kommandeurs.

Oberstleutnant Ingo Gnoyke will auf die „persönlichen Belange“ seiner Soldaten reagieren. Der Kommandeur des in Berlin-Kladow stationierten Jägerbataillons 1 gewährt Muslimen daher Sonderurlaub an wichtigen islamischen Feiertagen – und sogar das Beten während des Wachdienstes oder das Fasten im Ramadan würde er gestatten, sagt Gnoyke. Bislang habe allerdings kein Muslim derartige Wünsche geäußert. Deren Erfüllung wäre kein Problem: „Alles nur eine Frage der Organisation.“

In der Kaserne fällt Kazim seines Glaubens wegen kaum auf. Wie die meisten seiner christlichen Kameraden betet er nicht, und wie alle anderen isst er Schweinefleisch – obwohl ihm die Köche eine Extrawurst anboten. Kazim gehört der islamischen Glaubensgemeinschaft der Aleviten an, die viele religiöse Pflichten ablehnen, Alkohol trinken und Schweinefleisch essen dürfen. Gläubig sei er, sagt Kazim, aber er praktiziere die Religion nicht: „Ich habe meine eigene Brücke zu Gott.“ Wenn Muslime seelischen Beistand suchen, müssen sie derzeit mit einem katholischen oder evangelischen Militärpfarrer Vorlieb nehmen. Diese kümmern sich auch um die Belange Andersgläubiger.

In Zukunft wird die Forderung nach muslimischen Militärgeistlichen wohl lauter werden. Denn an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nehmen auch immer mehr muslimische Soldaten teil – und erfahrungsgemäß steigt bei diesen Einsätzen der Bedarf nach Ansprechpartnern gleichen Glaubens. Kazim wollte freiwillig in den Kosovo, um „Erfahrung zu sammeln“. Doch er musste das Nein des Vaters akzeptieren, der den Einsatz „zu gefährlich“ fand. Mit der Zustimmung seines Vater würde Kazim vielleicht sogar nach Afghanistan gehen, aber er macht sich keine Illusionen: „Wenn ich nicht mal in den Kosovo darf, dann erst recht nicht nach Afghanistan.“

Also bleibt Kazim bei seinen Kameraden in der Kaserne in Berlin-Kladow und versieht weiter seinen Dienst. Das macht er gerne, denn in der Truppe fühlt er sich wohl. Diskriminierung selbst hat er nicht erlebt, von Ausländerfeindlichkeit in der Bundeswehr nur vor seiner Rekrutierung von muslimischen Bekannten gehört. Natürlich gebe es Konflikte, sagt Kazim, aber das habe nie etwas mit seinem Glauben oder seinem Aussehen zu tun. „Warum auch? Wir unterscheiden uns nicht.“ Sein christlicher Stubenkamerad Christian Kühne nickt zustimmend und sagt: „Wir haben hier einfach keine Probleme.“ FLORIAN PEIL