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Ganz legal schwarzfahren

von REINHARD WOLFF

Die finnische Zentralbank „Suomen Pankki“ hätte keinen besseren Standort haben können. Am Snellmaninaukio, gleich hinter der Domkirche am Senatsplatz, feiern die Einwohner Helsinkis traditionell das neue Jahr – jetzt begrüßten sie hier als erste Europäer die Einführung des Euro. Denn während es in Resteuropa erst 23 Uhr war wurden in Finnland bereits die ersten Euroscheine unter Volk gebracht – denn die Uhren im äußersten Nordosten des Eurolandes gehen dank Osteuropäischer Zeit eine Stunde vor. Dass es außer den neuen Scheinen auch Punsch gab, bot den Umwechslern, die bei minus 19 Grad schon zwei Stunden vor Mitternacht vor der Zentralbank Schlange standen, einen zusätzlichen Anreiz. Zumindest in diesem festlichen Getümmel merkte man auch nichts davon, dass die FinnInnen die skeptischsten der gesamten Eurogemeinde sind. Nur 39 Prozent finden den Euro so richtig gut und nur mit einigen umfragetechnischen Tricks und dem Hinzuzählen von Halbüberzeugten kam man in der letzten Meinungsumfrage auf immerhin 51 Prozent NichtgegnerInnen.

Eine Skepsis, an der auch eine massive Anzeigenkampagne und Eurolernkurse nur wenig ändern konnten. Dabei hatten die meisten großen Ladenketten schon seit mehr als einem Jahr ihre Waren mit zwei Preisen ausgeschildert, um die KundInnen an den Schock der 5,94573-Umrechnungsformel zu gewöhnen. Verlockend wenig muss man jetzt mit 80 Cent für die ehemals einen Fünfer kostende Milch berappen und das Benzin kostet plötzlich statt 6,40 Finnmark nur noch 1,07. Da die meisten FinnInnen wohl noch lange weiterhin in Mark denken werden, haben eine Reihe von Kaufhäusern sich schon jetzt dafür entschieden, auch nach dem 1. März die Preise doppelt auszuschildern. „Wir wollen damit auch zeigen, dass wir nicht heimlich die Preise heraufsetzen“, argumentiert Paula Näkki, „Euroverantwortliche“ des Kaufhauses „Stockman“.

Neben dem Handel versucht auch die Regierung, die Währungsumstellung möglichst behutsam vorzunehmen. So setzte man mehrere Wochen an, bevor alle Geldautomaten Euroscheine ausspucken müssen, und versprach, die Wechselgeldfrage gerade bei kleinen ländlichen Läden locker zu behandeln. Und zog sich damit gleich den Zorn aus Brüssel zu, welches Finnland zu dem Land erklärte, das am schlechtesten auf den Währungsübergang eingestellt ist. Das freilich könnte voreilig sein, weil in keinem Euroland der Gebrauch von Kreditkarten so üblich ist wie gerade in Finnland, welches auch die kleinste Geldumlaufmenge im Verhältnis zum Bruttonationalprodukt in der Gesamt-EU hat. Vermutlich ist man also allen Unkenrufen zum Trotz schneller mit der Währungsumstellung und dem Doppelvalutasystem fertig als Resteuropa.

In der Neujahrsnacht erwies sich bereits bei der Heimfahrt, dass der 140-jährigen Finnmark zumindest im ÖPNV das letzte Stündlein geschlagen hat. Der Busfahrer verkaufte für die alten Silberlinge keine Einzelfahrscheine mehr. Untersuchungen hatten ergeben, dass die Zusatzwechselzeit zwischen zwei Währungen 20 Sekunden Verspätung pro Reisenden verursachen würde. Und damit den Zusammenbruch des Fahrplansystems. Deshalb gelten in den Doppelwährungsmonaten Januar und Februar in Bussen und Bahnen nur noch Euro oder Dauer- und Mehrfahrkarten. Und in der Neujahrsnacht durfte man legal schwarzfahren.

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