piwik no script img

„Punk war keine Ideologie“

Doch die Hakenkreuze waren schwer zu vermitteln: Mit einer Interviewcollage erzählt Jürgen Teipel in „Verschwende Deine Jugend“ von den Punk-Anfängen in Deutschland. Ein Gespräch über historische Wahrheit und die Unschuld der frühen 80er

Interview MAX DAX

taz: Jürgen Teipel, Mit „Verschwende Deine Jugend“ haben Sie versucht, die Geschichte von New Wave und Punk in Deutschland nachzuerzählen. Ist jetzt die Zeit gekommen, in der Punk zu Geschichte wird?

Jürgen Teipel: Punk ist ein Begriff, der sehr schnell von wildfremden Menschen vereinnahmt wurde – die Entwicklungen, die Punk losgetreten hatte, aber bleiben unauslöschbar. Ich habe mir gerade kürzlich wieder eine alte Platte von Pyrolator angehört und dabei festgestellt, dass sie, obgleich über 20 Jahre alt, fast klang wie eine Techno-Platte von heute. Mit anderen Worten: Ich sehe ein Nachwirken von Punk in unserer Zeit und nicht ein abgeschlossenes Kapitel. Ich stelle aber gleichzeitig fest, dass bei den damals Beteiligten heute eine Distanz zu den Geschehnissen vorhanden ist, die ihre Geschichte erstmals nüchtern erzählbar macht.

Würden Sie zustimmen, dass Ihr Buch das Porträt eines gesellschaftlichen Gegenentwurfs ist?

Ich habe in den letzten Jahren immer wieder versucht, etwas zu Papier zu bringen, das vielleicht im Stande sein würde, die Geschichte meiner Generation einzufangen. Ich hatte mir da immer einen ganz einfach erzählten Roman vorgestellt – einen Roman wie „Der Fänger im Roggen“ oder „Less Than Zero“.

Tatsächlich besteht Ihr Buch aus einer Collage von Dutzenden von Interviews.

Es gab in Amerika einmal einen ganz ähnlichen Versuch, nämlich das Buch „Please Kill Me“ von Legs McNeil und Gillian McCain. Dieses Buch bringt die amerikanischen Verhältnisse und Umstände, in denen Punk passierte, ziemlich auf den Punkt. Vor vier Jahren habe ich das Buch für die Berliner Zeitung rezensiert, und die enorme Resonanz auf den Artikel war letztlich der Anstoß für die Idee, das Gleiche auch für Deutschland zu versuchen. Die Interviews, die ich in meinem Buch verwendet habe, wurden fast alle von Angesicht zu Angesicht geführt. Das ist ja auch der Grund, warum das alles so lange gedauert hat: Ich wohne in Regensburg, ein Blixa Bargeld in Berlin, das muss erst einmal koordiniert werden. Dreieinhalb Jahre habe ich an dem Buch gearbeitet. Aber dadurch, dass diese Interviews choreografiert wurden, dass Spannungsbögen geschaffen wurden, Protagonisten auftauchen, wird das Buch zunehmend romanhafter. Je mehr ich an „Verschwende Deine Jugend“ gearbeitet habe, desto mehr wuchs dieses Buch an, bis es irgendwann 1.200 Seiten stark war. Ich merkte, dass ich mich wie ein Hippie in endlosen Gitarrensoli verfranst hatte – und begann in einer Form zu kürzen, die der Cut-up-Technik nahe kam. Ich hatte mich sozusagen für eine literarische Form entschieden, die der radikalen Vorgehensweise von Punk sehr nahe kam. Ich will ja auch unterhalten. Ich wollte dem Leben der Leute, denen ich in den vergangenen drei Jahren begegnet bin, gerecht werden.

Haben Sie Ihr Buch deshalb im Untertitel als „Doku-Roman“ bezeichnet?

Ich stellte irgendwann verblüfft fest, dass ich meinen Roman bereits geschrieben hatte. Nur eben mittels Montagetechnik, statt rein erzählerisch. Viele der Musiker, die ich interviewt habe, und die ihren Beleg dann in die Hände bekamen, haben auch gemeint, dieses Buch würde die Geschichte der wahren Achtzigerjahre schreiben.

Wahr im Gegensatz zu welcher Unwahrheit?

Wahr im Gegensatz zur furchtbaren und falschen und nachgemachten Neuen Deutschen Welle, die viel mehr Menschen in Erinnerung haben, als es Menschen gibt, die die echte und wahre, die gesellschaftsverändernde Punk- und New-Wave-Revolution miterlebt hätten. Die Menschen erinnern sich an die kommerzielle Auswertung dessen, was wahr war. Sie tragen Klamotten von H & M, weil sie sie an die Achtziger erinnern. Die wahren Achtziger werden dabei oft vergessen.

Wie haben Sie diese Zeit persönlich erlebt?

Ich war eigentlich immer der Jüngste und habe das alles sehr ehrfurchtsvoll erlebt. Und ich habe keine Ahnung, wie die Geschichte mit dem Buch ausgegangen wäre, wenn ich gleich von den ersten Interviewpartnern so arrogant behandelt worden wäre, wie das seinerzeit zum guten Umgangston gehörte. Tatsächlich aber waren Moritz Reichelt von Der Plan und Robert Görl von DAF, die meine ersten Gesprächspartner waren, sehr, sehr freundlich zu mir.

Ihr Buch zeigt, dass es einmal eine sehr politisierte Szene gab, die jenseits von Political Correctness gestanden hat, weil sie so individualistisch war. In „Verschwende Deine Jugend“ erzählen Musiker mit großer Selbstverständlichkeit, dass sie mit der RAF sympathisierten, gleichzeitig aber mit dem Hitlergruß in linke Buchhandlungen eintraten.

Das ist mir eine Herzensangelegenheit, diese Unterscheidung zwischen individualistisch-politischem Bewusstsein einerseits und Political Correctness andererseits zu unterstreichen: Punk war keine politische Formation oder Ideologie. Jäki Eldorado, von dem man sagt, er sei der erste Punk Deutschlands gewesen, hat es auf den Punkt gebracht, indem er sagte: „Dass man gegen Nazis war, das verstand sich ja von selber. Aber wir haben uns trotzdem Hakenkreuze auf die Jacken gemalt.“ Mir ist das kürzlich ganz klar auf einem Konzert der Goldenen Zitronen aufgefallen, wo ich inmitten von Sechzehnjährigen stand, die sich selbst als Punks verstanden – und auf ihre Jacken durchgestrichene Hakenkreuze gemalt hatten. Die Hippies und die taz-Leser, die haben das ja damals überhaupt nicht verstanden und diese ganze Bewegung in einer faschistoiden Ecke gewähnt.

Sie haben sich auch mit Kerstin Eitner unterhalten, einer taz-Redakteurin der ersten Stunde . . .

Die hat mir ja erzählt, dass sie mit ihren Reportagen seinerzeit auf Granit gebissen hat bei der taz. Kerstin gehörte damals zum Umfeld von Alfred Hilsberg [legendärer Labelchef „What’s So Funny About“, d. Red.] in Hamburg und erlebte diese Punk-Revolution hautnah mit. Von innen sozusagen. Aber die Hakenkreuze waren schwer zu vermitteln.

Würden Sie sagen, dass durch solche Phänomene auch eine gewisse Naivität im Umgang mit dieser Jugendbewegung zum Vorschein gekommen ist?

Ich würde es nicht Naivität nennen. Ich glaube aber, dass Punk nötig war, um den Humor zu retten. Oder treffender gesagt: Eine andere Art von Humor ins Spiel zu bringen, den es vorher nicht gab. Es war ja geradezu ein Sport seinerzeit, das Gegenteil von dem zu sagen, was man eigentlich meinte. Zu provozieren um zu provozieren. Einfach so. Das ging natürlich mit der Zeit auf den Senkel, weil es alles höllisch verkomplizierte, aber es herrschten damals nun einmal extrem verhärtete Strukturen. Ich glaube, dass die Linken in Deutschland unter anderem deshalb so hart drauf waren, weil es diese RAF- und BKA-Hysterie gab. Es gab den harten Staat, und es gab die verhärtete Linke. Und dazwischen gab es Leute, die erkannt hatten, dass es sehr, sehr einfach war, die Brechstange anzusetzen und mit den einfachsten Sachen totale Wirkung erzielen.

In England waren die Punks ja von Anfang an eingeladen dabei zu sein, als es hieß: „Rock Against Racism“. Da wurde nicht zwischen guten Musikern wie Bettina Wegner und bösen Punkrockern unterschieden. Ich meine: Bettina Wegner! Da kommt einem doch der Magen hoch. Und The Clash durften auch Geld mit ihrer Musik verdienen. Das war ja für Markus Oehlen plötzlich ein großes Problem, als er begann, richtig viel Geld zu verdienen. Mein Buch behandelt wirklich nur einen kleinen Zeitraum, in dem Punk und New Wave noch unschuldig waren sozusagen und dieses Land verändert haben. Es behandelt nicht die Zeit danach.

Ein Hauptaugenmerk galt den Arbeitsweisen und -bedingungen der Musiker.

Ja, und auch mir wurde erst durch dieses Interesse an den Arbeitsbedingungen klar, warum diese ganze Musik von damals so unglaublich beschissen klingt. Es gab damals noch keine Indie-Plattenszene mit eigenen Studios, Plattenfirmen und dergleichen. Als Siebzehnjähriger, der damals auf die Kacke hauen wollte, musste man alles selbst machen. Für die linke Plattenindustrie war Punk faschistisch, für die Majors war es keine Musik. Es ist ja auch ein Kampf gewesen um die Freiheit der Produktionsmittel. Es gab ja noch keine Vierspurrekorder. Es ist deswegen auch hochinteressant heute festzustellen, dass es diese ganzen Platten und diese ganze Bewegung nur deswegen gegeben hat, weil sich jemand darüber hinweggesetzt hat – auch über die vorherrschende Haltung, die besagte: „Das ist doch keine Musik.“ Markus Oehlen hatte das Becken seines Schlagzeugs auf einen kaputten Billardqueue aufgesetzt. Der Preis, den diese Vorreiter zu zahlen hatten, war der, dass sie keine Produzenten fanden, die in der Lage gewesen wären, diese musikalische Revolution einzufangen. Entsprechend kaputt klingen die Platten heute.

Erinnern Sie sich gerne an diese Zeit, vielleicht sogar mit etwas Wehmut?

Natürlich. So leicht konnte man nie wieder provozieren. Aber ich habe in den Recherchen auch gemerkt, dass sich jeder einzelne meiner Interviewpartner im Laufe der Jahre umorientieren musste. Jeder Einzelne hat irgendwann mit der Intensität dieses Lebens gebrochen, es war einfach zu selbstzerstörerisch. Aber eben weil es so selbstzerstörerisch war, zeigte es eben auch, dass es noch ein anderes Leben gab als jenes, das sich unsere Eltern für uns ausgedacht hatten. Ich meine: Ich stamme aus einfachen Verhältnissen und hätte zum Bundesgrenzschutz gehen sollen, wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre. Ich hab’s nicht gemacht, weil es offensichtlich Alternativen gab.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen