: Wie stürme ich durchs Wahljahr?
Gerhard Schröder hat neun Monate Zeit, um seine Wiedergeburt vorzubereiten – als strahlender Sieger bei der Bundestagswahl am 22. September
von MATTHIAS URBACH und LUKAS WALLRAFF
Januar: Willkommen im Wahljahr. Noch ist die Union mit sich selbst beschäftigt, mit der K-Frage. Aber nicht mehr lange. Egal, wer der Herausforderer wird – er oder sie wird Ihnen tagaus, tagein die schlechten Wirtschaftsdaten um die Ohren hauen. Die Wähler starren entsetzt auf ihre ersten Gehaltszettel in Euro. Die „ruhige Hand“ können Sie vergessen. Taten sind gefragt.
Beginnen wir mit einer leichten Übung: dem Kombilohnmodell. Verkaufen Sie die grüne Idee als Ihre eigene, und schaffen Sie einen sanften Übergang von Billigjobs in den ersten Arbeitsmarkt. Das beruhigt den Mittelstand und kleine Arbeitnehmer. Achten Sie auch auf den Bauarbeiter, dem der gnadenlose Winter zu schaffen macht! Am besten rasch ein paar Investitionen vorziehen.
Aber natürlich ist das alles nur Kosmetik: Die Arbeitslosigkeit wird bis zur Wahl nicht – wie versprochen – auf 3,5 Millionen sinken. Mit etwas Glück liegt sie im September bei knapp unter vier Millionen. Um das irgendwie als Erfolg verkaufen zu können, muss ein noch schlimmeres Horrorszenario her. Schicken Sie Ihren Wirtschaftsminister Werner Müller vor: Er soll die Wähler in einem Bild-Interview schon mal auf „bis zu viereinhalb Millionen“ Arbeitslose vorbereiten.
Februar: Bereiten Sie die Gegenoffensive vor. Jetzt steht der Gegner fest. Die Union hat sich zwischen Stoiber und Merkel entschieden – und nur noch ein Ziel: Ihnen das Kanzleramt abzujagen. Die Journaille ist begeistert dabei und schreibt den Herausforderer hoch. Die neue Klarheit kommt auch bei den Wählern an. Sie beschert der Union die besten Umfragen seit Helmut Kohl.
Aber genau wie der früher müssen Sie jetzt locker bleiben. Auch Ihr Vorgänger startete stets aus einem Tief in den Wahlkampf. Ignorieren Sie Ihren Gegenkandidaten und regieren Sie einfach weiter. Alles andere würde Ihnen als Panik ausgelegt.
Im Stillen bereiten Sie aber schon die Gegenoffensive vor und lassen in der Vergangenheit des Herausforderers wühlen. Der Spendensumpf der CDU und der Amigofilz in Bayern bleiben Trümpfe, die Sie zum passenden Zeitpunkt ausspielen sollten. Aber Vorsicht: Machen Sie es nicht wie der Stern, der mit seiner Geschichte über den Bayernkurier einen Flop landete.
März: Bremsen Sie die Anfangseuphorie der Union. Ausgerechnet jetzt wird im Bundesrat über Otto Schilys Zuwanderungsgesetz abgestimmt. Lassen Sie Schily so viele Zugeständnisse machen, bis der Saarländer CDU-Liberale Müller und der Brandenburger Großkoalitionär Schönbohm nicht mehr Nein sagen können. An den Grünen wird der Kompromiss nicht scheitern.
Falls die Union trotzdem auf Blockade setzt, muss Ihr Finanzminister Hans Eichel mit ein paar Millionen für die blühenden Landschaften im Saarland oder in Brandenburg nachhelfen. Die Methode hat schon bei der Steuerreform funktioniert. Hier müssen Sie mit vollem Einsatz spielen. Eine Niederlage wäre nicht nur peinlich. Sie beschert Ihnen obendrein die Zuwanderung als Wahlkampfthema.
April: Nun wird es kritisch. Am 21. April steigt in Sachsen-Anhalt die einzige Landtagswahl vor dem 22. September. Ein Sieg muss her! Doch die Umfragen stehen günstig für die CDU. Also müssen Sie sich rechtzeitig um die vernachlässigten Ossis kümmern. Verlegen Sie Ihre Sommerreise in den Frühling. Und mischen Sie sich bloß nicht ein, wenn es in Magdeburg um die Koalitionsfrage geht. Ein Veto gegen die PDS kommt im Osten gar nicht gut an. Eine klare Aussage für die PDS wäre aber noch gefährlicher – denn dann kann die Union genüsslich vor einer „Volksfront“ im Bund warnen.
Mai: Eine ganz schwierige Phase. Trotz des bevorstehenden Sommeranfangs ist keine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt in Sicht. Die Union legt Wirtschaftskonzepte auf den Tisch. Sie sind zwar unrealistisch, aber sie klingen gut. Und sie warnt vor dem Schreckgespenst „Rot-Rot im Bund“.
Da gibt es für Sie nur noch einen Ausweg: die Außenpolitik. Joschka Fischer muss ran! Nichts wäre jetzt besser als eine erfolgreiche Friedensmission im Nahen Osten. Ideal: ein Handschlag zwischen Israelis und Palästinensern in Berlin. Das sollten Sie auf jeden Fall versuchen.
Gut wäre es aber auch, wenn die Bundeswehr ins Spiel kommt. Warum greifen die USA nicht endlich den Irak an oder bombardieren Somalia? Dann werden sich die Wähler wieder um den erfahrenen Staatsmann Schröder scharen. Die PDS stünde wieder in der pazifistischen Ecke, das Gerede über Rot-Rot wäre beendet. Und die Union könnte Ihnen die nationale Solidarität nicht verweigern.
Was aber, wenn die USA nicht mitspielen – und Ihnen den Kriegseinsatz verweigern? Dann wissen Sie wieder, warum Sie sich noch nicht von Rudolf Scharping getrennt haben. Der weiß bestimmt, wie man eine Krise vom Zaun bricht. Zum Beispiel mit ein paar gut gestreuten Hintergrundinformationen über „anstehende Kampfeinsätze“.
Doch machen Sie sich nichts vor: Die Herzen der Wähler gewinnen Sie nur mit der Innenpolitik. Eine echte Chance bieten da die Lohnverhandlungen in der Metall- und Chemiebranche. Das volle Programm mit Urabstimmungen und Warnstreiks. Zum Glück werden die Löhne der Staatsdiener nicht mitverhandelt. Deshalb können Sie den Macher spielen. Sie schicken einfach Oskar Lafontaine als Schlichter in die Verhandlungen. Sein Auftrag: einen Streik im Wahljahr zu verhindern. Dafür bekommen die Gewerkschaften einen ordentlich Schluck aus der Lohnpulle. Eine Drei vor dem Komma muss sein, damit netto im Portemonnaie wirklich mehr drin ist. Merke: Die SPD ist die Partei der „sozialen Wärme“.
Juni: Die Umfragen werden allmählich besser. Jetzt zeigt sich die große Schwäche von Merkel und Stoiber – ihre mangelnde Volksnähe. Trotzdem müssen Sie sich vor dem kapitalen Fehler hüten, den Helmut Kohl 1998 beging – als er sein Schicksal mit dem Erfolg von Berti Vogts und der deutschen Nationalmannschaft verknüpfte. Fahren Sie also nicht zur Weltmeisterschaft. Dafür wird die deutsche Mannschaft in Korea und Japan einfach zu schlecht spielen. Frühestens im Viertelfinale können Sie sich blicken lassen – aber nur, wenn es nicht gegen die starken Franzosen oder die schwachen Engländer geht. Eine Niederlage wäre im ersten Fall unvermeidlich, im zweiten Fall gar zu peinlich.
Setzen Sie lieber auf Homestorys. Warum besuchen Sie nicht mal wieder Ihre Cousinen in Thüringen. Vielleicht auch mal ein Auftritt im Biergarten. Das würde den steifen Stoiber, der sich Salbeitee in seinen Maßkrug füllen lässt, ins Mark treffen. Ist die kinderlose Angela Merkel Ihre Gegnerin, müssen Sie unbedingt was mit Kindern machen.
Juli: Zeit für ein paar Steuertips vom Genossen Struck. Ihr Fraktionschef schlägt ein paar Reformen vor: Mehr Kindergeld, weniger Einkommensteuer ab 2005. Und nie wieder Ökosteuer. Die sollen die Grünen ausbaden.
Das Afghanistan-Mandat ist ausgelaufen. Mit einer großen Trauerfeier würdigen Sie die gefallenen deutschen Soldaten. Tony Blair und George W. Bush sind auch dabei. Im richtigen Moment läuft Ihnen eine Träne über die Wange. So zeigen Sie Stoiber und Merkel, wer der wirkliche Staatsmann ist.
August: Jetzt müssen Sie auf die FDP aufpassen. Zu gern wäre FDP-Chef Westerwelle neuer Bildungsminister. Doch auf diesem Zukunftsfeld dürfen Sie ihn nicht punkten lassen! Schließlich ist es Chefsache, die Bildungsmisere zu beenden. Nun ist der Moment gekommen für eine übergreifende Initiative: Ganztagsschule, kleinere Klassen und ein Renovierungsprogramm für die maroden Gebäude. Gleichzeitig ruft Ihre Gattin eine überparteiliche Kampagne für „humanistische Erziehungsideale“ ins Leben. Mit im Boot: Günther Jauch und Ulrich Wickert, die nach den Schlafmünzen ihr Bild mal wieder auf einem offiziellen Plakat sehen wollen. Sie werden sehen, schon bald kennt Deutschland keine Bildungspolitiker mehr – sondern nur noch gelehrige Schüler. Mit einem Auftritt bei Harald Schmidt schalten Sie sich persönlich in die Debatte ein. Eine Stunde Bildungsfernsehen beim jungwählerträchtigen Talkmaster.
September: Vorsicht vor einem Duell der Spitzenkandidaten. Für den Amtsinhaber ist das stets riskant, weil Sie Ihren Gegner nur aufwerten. Eine Konfrontation mit Stoiber sollten Sie unbedingt meiden. Gegen die moralisierende Angela Merkel wäre das Duell dagegen zu gewinnen – am besten mit einer neuen Frisur. Aber vorsicht: Hauen Sie nicht zu stark drauf. Sonst kriegt Angie Mitleidspunkte.
Ein paar gut platzierte Talkshowauftritte sind dagegen immer nützlich. Rufen Sie bei Sabine Christiansen an: Vielleicht macht sie wieder eine Sondersendung allein mit dem Kanzler. Dort verkünden Sie „hoch erfreut“, dass die Arbeitslosigkeit „wider Erwarten“ doch nicht über vier Millionen gestiegen ist. Und Sabine Christiansen wird nicken.
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