: Freie Plätze im Sun Express 261
■ Abschiebung mit Straßenblockade verhindert: 200 junge Menschen harren in den kalten Morgenstunden stundenlang vor Haus von Libanesen aus. Nach denen wird jetzt gefahndet
Morgens um Viertel nach fünf ist die Welt im Buntentor noch in Ordnung. Aber an diesem Tag ist alles anders. Durch das Dunkel schleichen Gruppen junger Leute, dick eingemummelt. Ihr Ziel: Das Haus der libanesischen Familie El-Zein, die in die Türkei abgeschoben werden soll. Ab sechs Uhr sollen sich die Kurden bereithalten, hat die Ausländerbehörde gesagt.
Die Abschiebungsgegner sind bereits eine halbe Stunde früher da. Fast 200 Menschen bilden eine Art Sicherheitskordon um das Haus der Familie El-Zein. Ein paar von ihnen haben vorgesorgt, ziehen in Minuten Sperrmüll auf die Straße, so dass zwei Barrikaden die Zufahrt zum Haus blockieren. Bettgestelle, Stühle, Regenrinnen und obendrauf ein sorgsam drapierter Weihnachtsbaum blockieren die Durchfahrt. Bald stecken zwei Straßenbahnen auf der Straße fest, zuckeln erst allmählich rückwärts davon.
Indes lässt die Ausländerbehörde auf sich warten. In respektvollem Abstand wartet ein Polizeiauto. Die Demonstranten vertreiben sich Zeit, Kälte und Müdigkeit mit Parolen gegen Abschiebung. Manche tanzen mit Lamettabüscheln behängt die Straße auf und ab. Den gegen 6.30 Uhr eintreffenden Vertretern des Ausländeramtes wedeln sie mit Lametta im Gesicht. Die versuchen zu diskutieren, ziehen sich dann zurück: „Wir wollen das hier nicht mit Gewalt durchziehen.“ Der Morgen kriecht dahin, die Kälte in die Knochen. Nachbarn lassen gleich nach dem Aufstehen die Jalousien runterrauschen. Tassen mit heißem Tee machen die Runde. Aus dem ersten Stock des kleinen Bremer Hauses rufen verschlafe Kindergarten-Kinder: „Wir bleiben hier!“ und kichern.
Schließlich tut sich etwas auf der Straße. Ein Mannschaftswagen der Polizei fährt vor. Wird der Zutritt zum Haus der El-Zeins nun doch noch erzwungen? Ein Fahrzeug nähert sich, dessen Silhouette von weitem an einen Wasserwerfer erinnert. „Och nö, is doch kalt“, mault einer schon. Aber das Gefährt entpuppt sich als Entsorgungsfahrzeug der ENO mit Kran obendrauf. Als Polizisten beginnen, die Barrikaden abzuräumen, kommt es zu kleineren Rangeleien – „passiver Widerstand“ ist die Devise der DemonstrantInnen, und auch die Polizei lässt sich nicht einmal von Lamettabüscheln im Gesicht provozieren, räumt in aller Ruhe das Gerümpel von der Straße. Unterdessen sickert die Meldung der Polizeipressestelle durch, die Abschiebung sei fürs Erste abgesagt. Noch können es die UnterstützerInnen der Familie nicht ganz glauben, verharren in der Kälte. Aber als der letzte Strohballen von den Straßenbahnschienen geklaubt ist, fährt die Polizei einfach weg.
Flug Nummer QX 261 der Lufthansa-Tochter Sun Express nach Istanbul hebt um 10.40 Uhr auch ohne Ata El-Zein ab, der am Vortag in Abschiebehaft genommen wurde. „Wir wollen die Familie gemeinsam abschieben“, erklärt Innenressort-Sprecher Markus Beyer. Der Rest der Familie habe sich der Abschiebung jedoch „entzogen“. Man werde nun „mit allen Mitteln“ versuchen, die vermutlich untergetauchte Familie aufzuspüren und abzuschieben – bis auf die Mutter, die nach einem Zusammenbruch ins Zentralkrankenhaus Ost eingeliefert wurde.
Erstes Signal der Polizei: Zeki El-Zein, in Bremen geduldeter, erwachsener Sohn der Familie, spürte beim Einkaufen am Vormittag plötzlich eine Pistole im Rücken. Fünf zum Teil vermummte Polizis-ten legten ihn in Handschellen und führten ihn gemeinsam mit einer schwangeren Freundin der Familie ab – Leibesvisitation, offenbar auf der Suche nach Adressen, wo sich der Rest der Familie verstecken könnte.
Die Grünen kritisierten gestern das Vorgehen des Innenressorts: Matthias Güldner sprach von einem „unzumutbaren Nervenkrieg“. Innensenator Kuno Böse (CDU) als neuer Vorsitzender der Innenminis-terkonferenz sollte sich stattdessen für eine Bund-Länder-Übereinkunft „im Sinne einer differenzierten Altfallregelung“ einsetzen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Jens Böhrnsen verlangte dagegen lediglich für den 19-jährigen Serag El-Zein eine humanitäre Lösung, da er gut integriert sei. Außerdem wollen die Sozialdemokraten eine Härtefallkommission nach nordrhein-westfälischem Vorbild. CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff winkt jedoch bereits ab: „Das hilft nicht weiter“, sagt er, „die sind ja auch an – bedauerlicherweise – geltendes Recht gebunden.“ Die SPD könne daran am einfachsten auf Bundesebene etwas ändern. Gegen eine Inititative des CDU-Innensenators hätte Eckhoff auch nichts einzuwenden, „aber das muss er selbst entscheiden.“ Jan Kahlcke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen