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Zwischen Mitlaufen und Vorausrennen

Nordelbische Kirche stellt sich zum ersten Mal ihrem Verhalten im NS  ■ Von Sandra Wilsdorf

Laute oder stille Ablehnung, keine Position, stille oder offene Zustimmung, Mord: Die Menschen hatten Spielräume in ihrem Verhalten zur Politik der Nazis. Zum ers-ten Mal seit 1945 stellt sich nun eine Landeskirche der Tatsache, diese nicht genutzt zu haben. Stattdessen haben evangelische Kirchen „nicht-arische“ Gemeindemitglieder ausgeschlossen, zu Deportationen geschwiegen, und aus etlichen Würdenträgern wurden Mörder. Die Kirchen befreiten sich von Judaismen, „ein Hamburger Pastor verbannte sogar das Amen“, sagt Historiker Stefan Linck.

Im Auftrag der Nordelbischen Kirche hat er die Wanderausstellung „Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933-1945“ konzipiert, die noch bis zum 4. Februar in der Petri-Kirche zu sehen ist. Sie zeigt, wie Kirchenmenschen mitgelaufen, vorausgerannt oder vorsichtig gegenan gegangen sind.

Jahrzehntelang hat die Kirche lieber über Widerstandskämpfer wie Dietrich Bonhoeffer geredet. „Die traurige Wahrheit ist, dass das absolute Ausnahmen waren“, sagt Linck. Er zeigt deshalb jetzt den ehemaligen Segeberger Probst Ernst Szymanowski, der seinen Talar mit der SS-Uniform tauschte: Schon 1926 trat er in die NSDAP ein. 1941 wurde er Leiter der Gestapostelle Oppeln und verantwortete dort auch Judendeportationen. Ein Jahr später wurde er Chef des Einsatzkommandos 6 in der Ukraine und befahl dort die Ermordung von mindestens 3000 Menschen.

Ein US-Militärgericht verurteilte Szymanowski 1948 zum Tode, was später in lebenslänglich umgewandelt wurde. In den 50er Jahren setzt sich die schleswig-holsteinische Landeskirche für ihn ein: 1957 wurde Szymanowski entlassen und bekam auch gleich einen Job in der Neumünsteraner Kirchenverwaltung. Er starb 1986.

Und es gab den Landesbischof Franz Tügel. Auch der wurde bereits 1931 NSDAP-Mitglied und unterstützte bis zum Ende deren Kriegsführung. Aber er weigerte sich auch, widerständige Pastoren zu denunzieren, und setzte sich für einen Pas-tor ein, dem wegen 37,5 Prozent „jüdischen Blutes“ das Schulgeld für die vier Kinder drastisch erhöht werden sollte. „Er hatte eine privat humane und politisch inhumane Persönlichkeit“, sagt der Publizist Ralph Giordano, der mit Tügels Sohn Peter in eine Klasse gegangen ist. „Peter war und ist mein Freund“, sagt Giordano, den die Ausstellung anrührt, „weil sie ohne Tabu versucht, der äußerst schmerzhaften Wahrheit auf den Grund zu kommen“.

Bei aller Unterstützung durch die Kirche ist Linck bei seinen Recherchen nicht gerade auf Jubel gestoßen: „Es war eher ein es-muss-wohl-sein-Seufzen.“ Kirche sei ein Raum gewesen, der nicht verparteilicht war, „kein Pastor war dazu gezwungen, von der Kanzel aus gegen Juden zu hetzen, wenn er es doch getan hat, dann aus freien Stücken“. Um die Spielräume darzustellen, zeigt die Ausstellung neben Bekennern zu einem liberalen Protestantismus wie Hermann Mulert aber auch Menschen wie Elisabeth Flügge. Die Hamburger Lehrerin hatte 1933 und 1934 Artikel in eine Kladde geklebt, die Überschriften wie „Das erste Konzentrationslager eröffnet“ trugen. Die Historikerin Rita Bake hat aus den Heften jetzt eine Dokumentation für die Landeszentrale für politische Bildung gemacht.

Die längst überfällige und sehr sehenswerte Wanderausstellung ist bereits bis 2004 ausgebucht, so groß ist das Sehnen nach der Wahrheit. „Warum erst jetzt?“, fragt Eleonore Rudolph vom Vorbereitungsausschuss der Nordelbischen Synode, und antwortet: „Seit zwei bis drei Jahrzehnten bemüht sich die evangelische Kirche, das Verhältnis der Christen zu den Juden neu zu gestalten.“ Denn es sei der Antijudaismus der vergangenen 2000 Jahre gewesen, der letztlich zum Antisemitismus geführt habe.

Öffnungszeiten: täglich von 10 bis 17 Uhr. Führungen dienstags und donnerstags ab 15 Uhr, sonntags ab 11.30 Uhr und auf Anfrage. Außerdem gibt es ein Rahmenprogramm, beispielsweise heute ab 19.30 Uhr einen Vortrag über Franz Tügel, am 26. Januar liest Manfred Steffen aus dem Johannes-Evangelium von Walter Jens. Infos: Tel.: 32 57 40 0.

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