: Agrarpolitik im neuen Gewand
Rund ein Jahr nach dem BSE-Skandal steht die Internationale Grüne Woche im Zeichen der Agrarwende. Die Aussteller üben sich im Spagat zwischen Öko-Idylle und High-Tech-Landwirtschaft. „Action“, „Show“ und „Party“ sollen Besucher locken
von TILMAN VON ROHDEN
Wenn Eis und Schnee Berlin fest im Griff haben, wärmen sich jedes Jahr Hunderttausende in den Messehallen am Kaiserdamm mit Glühwein und Spezialitäten aus aller Herren Länder: die Internationale Grüne Woche hat ihre Pforten geöffnet.
Mehr als 300 Mark gaben die rund 480.000 Gäste des letzten Jahres, darunter 21 Prozent vom Fach, durchschnittlich aus. So die Messebesucher wollen, kommen in diesem Jahr rund 1.500 Aussteller aus circa 60 Ländern zu den brandneuen Euros.
Die diesjährige Messe, die vom 11. bis 20. Januar dauert, steht ganz im Zeichen einer veränderten Agrarpolitik. Besucher erfahren diese Problematik auf sinnliche Weise auf dem Erlebnisbauernhof. Milchkühe, Kälber, Schweine, Geflügel und Pferde sorgen in der Messehalle für eine entsprechende Atmosphäre inklusive würziger Landluft. Vor diesem Hintergrund soll den der Natur Entfremdeten nahe gebracht werden, wie eine hoch technisierte Landwirtschaft funktioniert. Außer um Tier- und Umweltschutz geht es den Machern auch um die Bedeutung des wirtschaftlichen Erfolgs landwirtschaftlicher Produktion. Außerdem wird die Biogaserzeugung als eine zukunftsträchtige Möglichkeit der Gülle- und Mistverwertung thematisiert.
Die „Präzisionsbewirtschaftung“ von Äckern mit Hilfe von Computer- und Satellitentechnik bildet einen weiteren Schwerpunkt auf dem Erlebnisbauernhof. Deswegen harren Traktoren und entsprechende Maschinen einer eingehenden Begutachtung. Außerdem demonstrieren die Erlebnisbauern, wie Pflanzen ausgewogen ernährt und gleichzeitig Boden, Wasser und Luft geschont werden können.
Fachlich Interessierte nehmen das entsprechende Rahmenprogramm mit über 250 Veranstaltungen wahr. Darunter das 22. Internationale Forum Agrarpolitik des Deutschen Bauernverbandes, das sich dieses Mal mit „Grüner Gentechnik“ beschäftigt, und das 9. Ost-West-Agrarforum zum Thema „Lebensmittelsicherheit und Handel zwischen Ost und West – ein unlösbarer Widerspruch?“. Auf dem „Kongressforum“ mit seinen fünf themenorientierten Schwerpunkttagen befasst sich darüber hinaus einer mit Agrarpolitik, ein anderer mit ökologischem Landbau.
Im Rahmen einer veränderten Agrarpolitik wird auch über alternative Einkommensquellen von Landwirten gezielt informiert: Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte, Urlaub auf dem Lande sowie Sport- und Freizeitmöglichkeiten wie Reiten, Jagd und Angeln heißen die Stichworte.
Daneben informiert die Bund-Länder-Schau in Halle 21 b über das Leben auf dem Lande und wirbt für den Tourismus in den unterschiedlichen Regionen. Die Landesarbeitsgemeinschaften „Urlaub auf dem Lande“ aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen sowie das Verbraucherschutzministerium des Bundes sind mit Infoständen präsent.
Halle 26 gibt Auskunft über Produkte aus dem Non-Food-Bereich. Dazu zählen die nachwachsenden Rohstoffe, deren Bandbreite auf der Grünen Woche von der Gewinnung von Biodiesel und Heizanlagen für Hackschnitzel über Bindemittel für Bauteile bis hin zu Tensiden und Waschmitteln auf der Basis von Pflanzenölen reicht.
Begleitet wird dieser Bereich durch den Fachteil „Erneuerbare Energien“. Landwirte als Erzeuger und Nutzer erneuerbarer Energien, Entscheidungsträger aus Gemeinden und Behörden sowie Hersteller und Händler zählen zur Zielgruppe. Am 19. Januar ist dieser Fachteil auch für das allgemeine Publikum zugänglich.
Dessen jüngerer Teil wird sich vor allem in Halle 26 b wohl fühlen, denn dort findet erstmalig „Talking Food“ statt: ein mehrtägiges Event, das sich an Menschen bis 25 Jahre wendet und auf moderne Weise in die Auseinandersetzung von Jugendlichen mit den Themen Lebensmittelsicherheit und -qualität sowie Verbraucherschutz eingreifen will. Ziel ist es, die „Talking Food“-Halle zu einem Anlaufpunkt für den bewussten jugendlichen Konsumenten zu machen: Dafür braucht es den Event aus Spaß und Erlebnis.
Die Kooperationspartner aus der Nahrungsmittelindustrie, von schulischen, politischen, sportlichen und ländlichen Organisationen verzichten deshalb auf traditionelle Messestände und setzen stattdessen auf Partystimmung, Action und Show. Ach ja, irgendwo darin sollen auch ein paar Infos versteckt sein. Die Kids können diese jeweils an den Freitagen und Sonnabenden bis 24 Uhr entdecken.
Für alle Besucher wird es erstmals am 18. Januar 2002 einen „Langen Freitag“ geben. Die Grüne Woche ist dann von 9 bis 21 Uhr geöffnet. Den 12-stündigen Messetag gibt es dann zum Vorzugspreis von 6 Euro.
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