piwik no script img

Krawall im All und die Folgen

Eine Publikation dokumentiert verfolgte Hamburger Kunst im „Dritten Reich“  ■ Von Kai-Uwe Scholz

Curiohaus, Februar 1933: Mit Luft vollgepumpt, richtet sich eine aufblasbare Riesenpuppe mit angeklatschtem Scheitel und albernem Bärtchen unter der Nase auf: Hipp, die ewige Dummheit wird auf der Bühne vorgeführt und sofort als dreidimensionale Hitler-Karikatur identifiziert. Krawall im All lautete das Motto des Künstlerfestes, auf dem kurz vor der NS-Machtergreifung noch derlei kritische Einlagen gewagt wurden. Der Name entpuppte sich als böses Omen. Wochen später waren Krawallmacher in braunen Uniformen allgegenwärtig und allmächtig. Die so stolze Freie und Hansestadt durfte bis 1945 nur noch als Hansestadt Hamburg firmieren, und auch Künste und Künstler wurden ihrer Freiheit beraubt.

Wie viele menschliche Schicksale und welch lebendige Szene dadurch zerstört wurden, zeigt die Publikation Kunst in der Krise der Kunsthistorikerin Maike Bruhns, die von einer Ausstellung in der Krypta der Hamburger Nikolaikirche begleitet wird. Der Moderne aufgeschlossen gegenüberstehende Aktivisten hatten die konservative kulturelle Szene der Kaufmannsstadt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs aufblühen lassen: Kunstsammler wie Gustav Schiefler, Mäzene wie Carl Wilkens, Journalisten wie Hans W. Fischer, Museumsdirektoren wie Max Sauerlandt und natürlich die Kunstschaffenden selbst: Eduard Bargheer und Alma del Banco, Richard Haizmann und Ivo Hauptmann, Naum Slutzky und Tetjus Tügel, Friedrich Wield und Johannes Wüsten, um nur einige zu nennen. „Die Hamburgische Sezession war eine ideale Künstlervereinigung“, formulierte rückblickend Karl Kluth: „Alle wurden Freunde.“ Die Handelsstadt schien eine eigene kulturelle Ausstrahlung zu entwickeln: In jenen Jahren tauchte zum ersten Male der Begriff „Hamburgische Malerei“ im gesamtdeutschen Kunstleben auf.

Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden diese viel versprechenden Ansätze brüsk beendet. Es lasse sich feststellen, bilanziert Bruhns, „dass spätere Konstellationen nicht wieder an die Qualität und Vielseitigkeit dieser Jahre heranreichten“. Minuziös schildert die Autorin im ersten Band ihrer fast schon monumental zu nennenden Arbeit die Ausgangslage und die administrativen Schritte, die allen künstlerischen Bestrebungen allmählich das Leben austrieben. Dass die NS-Kunstpolitik tödlich sein konnte, zeigt das Kapitel „Flucht Vertreibung Vernichtung“. Bruhns weist nach, dass die immer noch weit verbreitete Hamburg-Legende – die Auffassung nämlich, in der liberalen Hafenstadt sei während der NS-Zeit „alles nicht so schlimm gewesen“ auch für den Bereich der Kunst jeder Grundlage entbehrt. Der Bildanhang des Buches und die (leider etwas lieblos gehängte) Ausstellung führen zugleich vor Augen, dass die Zeit politischer Willkür und Verfolgung auch Entwicklungen in der Bildsprache mit sich brachte, die ebenso bedrü-ckend wie beeindruckend sind.

Dunkle Himmel, menschenleere Stadt- und Deichlandschaften, Mutationen von Bäumen und Pflanzen zu geisterhaften Wesen zeigen, wie unheimlich eine ursprünglich vertraute Umgebung geworden ist; versperrte Ausbli-cke, gekoppelt mit einer Häufung von Hafen- und Dampfermotiven zeugen davon, wie sehr sich die Künstler aus den bedrängenden Umständen fortsehnten; Selbstporträts weisen Anzeichen tiefer Verstörung auf.

Die Einzelschicksale lassen sich im ebenso detailreichen zweiten Band, dem Künstlerlexikon Hamburg 1933–1945 nachlesen. Von ihrer Dissertation über die Malerin Anita Rée ausgehend, hat sich die Autorin in 17 Jahre andauernder Recherchearbeit in Stand gesetzt, das in den 20er Jahren so lebendige Geflecht freundschaftlicher Verbindungen und künstlerischer Einflüsse für den Leser wiedererstehen zu lassen und die Entwicklung nach 1933 und über das Jahr 1945 hinaus weiterzuverfolgen. Damit ist Kunst in der Krise nicht nur ein wichtiger Beitrag zur norddeutschen Kulturgeschichte und zur NS-Kunstpolitik, sondern zugleich eine wertvolle Studie zur Exilforschung und zur Erforschung der Inneren Emigration, zu Phänomenen wie der deutsch-jüdischen Symbiose vor den Versuchen einer Entnazifizierung nach der NS-Zeit, ein Bilderbuch und Nachschlagewerk. Die Publikation ist eine engagierte kulturelle Tat.

Maike Bruhns: Kunst in der Krise. Hamburg/München: Dölling und Galitz Verlag 2001. ISBN 3-933374-93-6, 2 Bände im Schuber, 1120 S. m. ca. 450, z.T. farb. Abb. 75,67 Euro.

Ausstellung: bis 24. Januar, St. Nikolai-Ruine am Hopfenmarkt, Mo–Fr 10-17, Sa+So 11-16 Uhr, ab Juli im Jüdischen Museum Rendsburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen