: Häuser mit Himmelsleitern
Mit dem Jakob-Kaiser-Haus wurde der zweite von insgesamt drei Parlamentsneubauten eröffnet. Die acht Blöcke bilden ein Stadtquartier, das sich nach außen abschließt. Im Innern ist es ein Luxusliner
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Kann ein Arbeitsplatz schöner aussehen als der für unsere Bundestagsabgeordneten im neuen Jakob-Kaiser-Haus hinter dem Reichstag? Da schauen die Parlamentarier samt Mitarbeitern auf ihre hellen Tischplatten, holzvertäfelten Schrankwände, den Parkettfußboden und den strahlend weißen Beton. Schweift der Blick nach draußen, wird es noch besser. Die Spree kommt in Sicht, der Potsdamer Platz und der Tiergarten oder acht begrünte und mit Kunst verzierte Innenhöfe.
Und was machen die Bundestagsabgeordneten daraus? Sie verachten die Baukunst und üben mittels privater Accessoires lebendige Architekturkritik an den rund 1.700 Büroräumen im größten Parlamentsblock der Hauptstadt. Wie zum Beispiel die Mitarbeiterin der Abgeordneten Ilse Janz (SPD) aus Bremen. Die 18 Quadratmeter Fläche sind ihr als Arbeitszimmer zu klein, meinte sie zur Eröffnung des Jakob-Kaiser-Hauses am Mittwochabend. Man sieht ihr an, dass sie ziemlich ungern aus dem Fenster in den Innenhof guckt, wo sie in die Büros gegenüber schauen kann. Aus Protest gegen das schicke Weiß hat sie die Wände gleich mit Plakaten und Postkarten verhängt. Und auf dem Tisch steht eine grüne Zimmerpflanze.
Am meisten ärgert sich die Mitarbeiterin über die architektonischen Prunkstücke im Jakob-Kaiser-Haus: nämlich die vielen freien Treppen, die die Gebäude wie Himmelsleitern durchziehen. Optisch-baulich, sagte sie, sind die schon prima. Doch wenn die Architekten meinten, hier treffe man sich zum wichtigen Gedankenaustausch, gehe hin und her und schalte den so genannten Flurfunk an, sei das falsch. Der Deutsche Bundestag ist ein Arbeitsparlament und kein Kommunikationsunternehmen. „An uns hat wieder mal keiner gedacht“, so das Resumée.
Das stimmt nicht ganz. Und die Aufregung über die „Hölle von Alcatraz“, wie eine Tageszeitung die hohen Hallen in den Gebäuden mit ihren Treppenanlagen, Stegen und stählernen Wandelgängen bezeichnete, als seien diese aus der Gefängnisarchitektur ensprungen, wird sich legen, haben sich die Volksvertreter erst einmal eingelebt.
Zu Recht lobte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse das Jakob-Kaiser-Haus. Der Bau sei nicht nur funktional gelungen, „sondern auch schön, was nicht selbstverständlich ist“. In Berlin werde der Bundestag „so gute Arbeitsbedingungen wie noch nie“ in seiner Geschichte haben.
Die guten Arbeitsbedingungen in den jeweils vier Blöcken links und rechts der Dorotheenstraße beginnen am östlichen Ende des Ensembles: Dort haben die fünf Architektenteams aus den Niederlanden und der Bundesrepublik in den Häusern 4 und 8 Feinkostläden, eine Bank, den Friseur und einen Buch- und Zeitungsladen untergebracht. Innerhalb der Fassaden aus Glas, Naturstein und Stahl entstanden zudem ein Pressezentrum, ein TV-Studio sowie ein Casino mit 570 Plätzen.
Die sechsgeschossigen Blöcke sind nicht nur durch Tunnel unterhalb und zwei Glasröhren hoch über der Dorotheenstraße miteinander verbunden. Ein tief liegender Gang unter dem früheren Reichspräsidentenpalais (Haus 1) führt direkt hinüber zum Reichstagsgebäude und in den Plenarbereich.
Das Prinzip der Verbindung dominiert auch innerhalb der äußerlich unterschiedlichen Häuser. Durch die Gebäude hindurch verlaufen in Ost-West-Richtung breite horizontale Foyers, die sich im Haupteingangsbereich (Haus 1) bis zur lichten Decke hinaufstrecken und dann in schmale verglaste Geschossbrücken durch die Häuser 2, 3 und 4 münden. Haus 5 auf den gegenüberliegenden Seite empfängt die Parlamentarier ebenfalls mit einer hohen Glashalle, die Bauten 6, 7 und 8 werden jedoch durch Flure verbunden.
Die Vertikalität betonten die Architekten ebenfalls mittels hoch aufsteigender luftiger Treppenanlagen und Stege, so dass man sich auf einem Schiffsdeck glaubt. Sie bilden die Chiffren für die bereits angesprochene kommunikative Funktion, die noch gesteigert wird durch Loggien und Brücken, interne „Plätze“ und „Straßen“, von denen aus man zu den Büros gelangt, die um die Innenhöfe gruppiert sind.
Zweifellos ist das neue Jakob-Kaiser-Haus eine sachlich geformte Parlamentsmaschine aus teuren, aber dezent gehaltenen Naturstein- und Holzmaterialien. Doch in Anlehnung an das auftrumpfende Kirchenschiff, welches das benachbarte Paul-Löbe-Haus (in dem die Ausschüsse tagen) durchzieht, mildern auch hier die öffentlichen Höfe, Hallen und Foyers den schlichten Bürohauscharakater, wie man ihn von privaten Bauvorhaben in Berlin kennt.
Entstanden ist ein Stadtquartier am Reichstag und an der Spree, das dicht gebaut und trotzdem nicht nur massig daherkommt. Wenn über die Büros gelästert wird, ist ein Seitenhieb erlaubt auf die introvertierte Blockstruktur des Hauses. So städtisch die bauliche Figur auch sein mag, so wenig urban und öffentlich ist sie zugleich. Unsere Abgeordneten können, wenn sie von den Büros zum Reichstag hinübergehen, dies tun, fernab von uns – durch die Nutzung der ober- und unterirdischen Gänge. Volksnah ist solch eine Struktur nicht, böse Zungen sprechen da von Parlamentsghetto.
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