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„Wir können nur noch aufbewahren“

Ursula Degner-Badawi und Monika Nickel leiten zwei Kindergärten. Mit den Sparplänen von Rot-Rot im Kita-Bereich sei nicht einmal die sehr verbesserungswürdige Betreuung der Kinder von heute aufrechtzuerhalten, kritisieren sie

taz: Nach der Veröffentlichung der Pisa-Studie interessieren sich Öffentlichkeit und Politik plötzlich für Kindertagesstätten. Rot-Rot hat im Koalitionsvertrag die Kita als Bildungseinrichtung anerkannt, will aber gleichzeitig in diesem Bereich kürzen. Werden die Berliner Kitas aufgewertet?

Ursula Degner-Badawi: Diese Aufwertung kann nicht ernst gemeint sein, denn sonst kann man nicht beim Kita-Personal kürzen. Herr Böger ist vor allem Schulsenator. Die Schule wird er stärken, aber das wird zu Kosten der Kitas und Horte gehen. Das war bei Böger schon immer so.

Monika Nickel: Diese Vergrößerung der Gruppen im Hortbereich von 16 auf 21 Kinder, das geht einfach nicht.

Degner-Badawi: Ich habe in meiner Kita 36 Hortkinder, nach dem bisherigen Personalschlüssel haben wir rechnerisch zweieinviertel Stellen. Da soll jetzt eine Dreiviertelstelle wegfallen. Bleiben also anderthalb Personen für 36 Kinder. Für Schularbeiten, Betreuung, Ferienprogramm. Da können Sie nur noch Aufbewahrung leisten.

Nickel: Da kann man viele Angebote einfach nicht mehr machen. Eine Kollegin kann nicht gleichzeitig bei Schularbeiten helfen, die Kinder, die draußen sind, beaufsichtigen und dann noch ein Angebot machen.

Sie sind beide Kitaleiterinnen und sollen einen Teil Ihrer Freistellungsstunden verlieren. Was heißt das konkret?

Nickel: Das heißt, dass ich 55 Prozent meiner Arbeitszeit in der Kindergruppe verbringe und für die Tätigkeit als Leiterin nur noch 45 Prozent bleiben. Bis vor zwei Jahren, als der Senat die Finanzierung der freien Träger verändert hat, waren die Leiterinnen noch vollständig freigestellt, derzeit sind es noch 75 Prozent.

Degner-Badawi: Und damit kommen wir kaum aus. Wir müssen die Kitas nicht nur pädagogisch, sondern auch wirtschaftlich leiten. Mit den Elternbeiträgen und den Senatsgelder auszukommen, das erfordert viel.

Nickel: Wichtig ist aber auch die pädagogische Weiterentwicklung. Wenn ich mit 55 Prozent in den Kindergruppen bin, wo soll dann noch neue Impulse herbekommen, wie soll ich dann Anregungen zur Qualitätsentwicklung weitergeben? Das muss doch alles vorbereitet werden.

Degner-Badawi: Die Situation ist ja noch viel schlechter. Die Frage ist nicht, wie sollen wir die Qualität steigern, sondern wie können wir sie halten, wenn das Personal immer mehr zusammengestrichen wird.

Was bedeutet es, wenn künftig die Arbeit der Berufspraktikanten, also Auszubildende, zu 20 Prozent auf den Stellenschlüssel angerechnet wird?

Degner-Badawi: Bei den knappen Mitteln gebe ich das Geld doch lieber für voll ausgebildete Kräfte aus. In die Berufspraktikanten muss man viel Zeit investieren. Die sollen was lernen. Für die wird es unter den veränderten Bedingungen immer schwerer einen Platz zu finden, um ihre Ausbildung zu beenden.

INTERVIEW: SABINE AM ORDE

Ursula Degner-Badawi und Monika Nickel sind Leiterinnen zweier evangelischer Kitas in Steglitz. In einem offenen Brief an den neuen Senat protestieren sie gegen die Kürzungspläne.

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