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Friedo Lampes „Short Cuts“

■ Alles drin: Jürgen Dierking hält einen Vortrag über Friedo Lampe und zeigt die Romanverfilmung „Septembergewitter“

Schön, wenn Thema und lokalpatriotisches Interesse sich so natürlich miteinander verbinden lassen. Zu „Film & Literatur“ finden noch bis zum 9. Februar Lesungen, Vorträge und Filme im Rahmen der 26. Bremer Literarischen Woche statt.

Und es fügte sich, dass der wiederentdeckte Bremer Schriftsteller Friedo Lampe, dessen Werke just im Göttinger Wallstein-Verlag neu herausgebracht werden, mit narrativen Mitteln arbeitete, die im Kino entwickelt wurden. Damit war er natürlich längst nicht der Erste und Einzige: Dos Passos und Döblin sind berühmt dafür, dass sie ihre Werke wie Filme montiert haben, aber Lampe hatte eine ganz eigene „filmartige Prosa“. So nannte es der Bremer Literat, Gründer und Vorsitzende der „Friedo-Lampe-Geselschaft“ Jürgen Dierking in seinem Vortrag am Donnerstag- abend in der Stadtbibliothek Neustadt.

„Lauter kleine, filmartig vorbeigleitende, ineinander verwobene Szenen“, so beschrieb Lampe 1933 selber seine Methode beim ersten Roman „Am Rande der Nacht“. „Kunstvoll ineinander verwobene Bilder gleiten filmartig vorüber“ analysierte „msch“ vor einigen Monaten in der Zeitschrift „Text & Kritik“ Lampes Roman „Septembergewitter“ – so einfach machen es sich einige Kritiker, aber dadurch wird die Aussage ja nicht falscher.

„Schnitte, Überblendungen und Schwenks“ fand Jürgen Dierking in den Texten von Lampe, und er las dazu entsprechende Textstellen vor, die tatsächlich wie mit einer „Erzählkamera über Bremen hin“ (so der Titel des Vortrags) geschrieben wurden.

Auch der Erzählton von Lampe erinnert an Filme: Der „poetische Realismus“ des französischen Kinos der 30er Jahre liegt auf einer ganz ähnlichen Wellenlänge, und Dierking fand auch einen Beleg dafür, dass der „frenetische Kinogänger“ Lampe diese Filme gesehen hat: In einem seiner Bücher gibt es ein „Hotel du Nord“, benannt nach dem Film von Marcel Carné. Und das Kino kam auch thematisch in Lampes Werk vor: Lampes Erzählung „Laterna Magica“, handelt von Filmemachern. Ein junger Poet und Drehbuchautor hat darin einen trunkenen Traum von einem idealen, avantgardistischen Film (der sich heute wie schlimmstes Hollywood liest), den er glaubt, ausgerechnet in einem Bremer Kellerkino zu sehen.

Aber einmal wurde Friedo Lampes Prosa tatsächlich zu Film: 1968 adaptierte Radio Bremen seinen Roman „Septembergewitter“ als Fernsehspiel unter der Regie von Rainer Wolffhardt, und dieser Film bestätigt tatsächlich auf ganz erstaunliche Weise Dierkings These. Denn der Film entpuppt sich als ein Vorläufer von Robert Altmanns „Short Cuts“, der ja auch auf einer literarischen Vorlage, nämlich Geschichten von Raymond Carver, beruht.

Hier wie dort wird man ohne jede Exposition in kurze Szenen gestoßen, die auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben: Beide Filme bieten einen multiperspektivischen Panoramablick auf die Gesellschaft. Raum und Zeit bestimmen dabei die Dramaturgie, und die Krise wird durch Naturgewalten (hier ein Gewitter, dort ein Erdbeben) forciert. Beide Filme sind zugleich realistisch (in „Septembergewitter“ kann man deutlich die Bremer Drehorte erkennen) und als Welttheater zu erkennen. Tod, Liebe, Schuld, Verzweiflung, Jugend, Alter: Alles ist drinne, ohne dass die Filme thematisch überladen wirken.

Natürlich kommt „Septembergewitter“ als Fernsehspiel viel bescheidener und dröger daher als Altmans hipes Meisterwerk, aber die Stilmittel ähneln sich frappierend. Und man ist erstaunt, mit wieviel Kunstfertigkeit, Aufwand und Geduld damals noch Fernsehspiele produziert wurden. Der Film ist ein kleines filmisches Juwel: Ganz unspektakulär, aber in jedem Bild stimmig wird da ein Spätsommertag im Bremen vor dem ersten Weltkrieg lebendig. Und „der große Schwan im Wallgraben“, den Dierking in einer von Lampes Überblendungen in dessen „Am Rande der Nacht“ fand, schwimmt nun auch in „Septembergewitter“ auf der Leinwand.

Wilfried Hippen

„Septembergewitter“ ist am Sonntag, um 18.30 Uhr, im Kino 46 zu sehen, die „Friedo-Lampe-Gesellschaft“ ist über das Bremer Literaturkontor zu erreichen.

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