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Tschüss, liebe Mehrwegflasche!

Der Anteil der Einwegbehälter steigt und steigt. Trotzdem kann Trittin das fällige Zwangspfand nicht verhängen, weil der Handel dagegen klagt – und sich die Berliner Oberverwaltungsrichter mit ihrer Eilentscheidung gründlich Zeit lassen

von MATTHIAS URBACH

Es steht schlecht um die Mehrwegflaschen. Ihr Anteil am Getränkeverkauf fällt immer schneller. Im vergangenen Jahr sank er um satte acht Prozent. Im Jahr davor war es noch ein Minus von sechs Prozent gewesen, davor gerade mal ein knappes Prozent. Inzwischen sind nur noch sechs von zehn gekauften Getränken (60,2 Prozent) in Mehrwegflaschen abgefüllt. Das geht aus den aktuellen Kundenumfragen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hervor.

Die Verpackungsverordnung verlangt dagegen einen Mehrweganteil von 72 Prozent – und droht bei Nichterfüllung mit dem Zwangspfand. Doch das kann der Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) nicht verhängen, weil vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin ein Eilverfahren gegen die Verhängung läuft. Sonderlich beeilen tun sich die Richter allerdings nicht: Schon seit September vergangenen Jahres beraten sie über den Antrag diverser Handelsriesen und Braukonzerne auf „einstweilige Anordnung“. Auch diesen Monat wird es nichts mit der Entscheidung, weil die Klage noch eine Erwiderung auf die Erwiderung auf ihre Klagebegründung einreichen wollen und der zuständige Richter drei Wochen in Urlaub fährt. Erst im Dezember hatten die Kläger durch Einreichen einer weiteren umfänglichen Klagebegründung das Verfahren verzögert.

Derweil bröckelt der Anteil der Pfandflaschen mit Erfrischungsgetränken, also Cola und Limonade, besonders rapide: Während des vergangenen Jahres sank ihr Anteil um 13,5 Prozent. Kein Wunder, denn in kleinen Läden, Kiosken und Tankstellen breiten sich immer mehr die großen Kühltruhen mit Einwegflaschen aus. „Es gibt eine gezielte Strategie, das Mehrwegsystem sturmreif zu schießen“, sagt Jürgen Resch, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.

Während die Verbände von Industrie und Handel im vergangenen Jahr mit schönen Worten mehrere Bundesländer dazu brachten, Trittins Novelle des Zwangspfandes zu blockieren, während sie Selbstverpflichtungen anboten, taten die Händler offensichtlich nichts, um Mehrwegflaschen anzupreisen. Auch die vom Handel angebotene Quote von 21,5 Milliarden Liter, die fortan in Mehrweg abgefüllt werden sollte, ist nach Einschätzung der Deutschen Umwelthilfe bereits unterschritten. „Nun versuchen die auch noch vor Gericht, das Zwangspfand zu verzögern“, schimpft Resch. Tatsächlich hatte Trittin in der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgericht eine klare Bestätigung des Zwangspfandes erhalten.

Auch Roland Demleitner hält das Selbstverpflichtungsangebot, das sich die bayrische Landesregierung zu Eigen machte und dem im Herbst der Bundesrat in leicht abgewandelter Form zustimmte, für gescheitert. Demleitner gehört dem Verband mittelständischer Brauereien an. Die kleinen Brauer können es sich nicht leisten, sowohl in Pfandflaschen als auch in Dosen abzufüllen. „Angesichts der dramatischen Entwicklung ist Stoiber jetzt gefordert, Farbe zu bekennen“, verlangt Demleitner. Er solle sich „für die schnelle Einführung des Pflichtpfandes“ stark machen.

Auch Resch fordert von den Bundesländern, an den Verhandlungstisch zurückzukehren – diesmal, um Trittin zu unterstützen. Der wollte im Herbst den Hickhack um die Mehrwegquote durch eine generelle Pfandpflicht auf alle Einwegflaschen und Dosen beenden – dies würde auch den juristischen Streit erheblich abkürzen.

Die neue offizielle Erhebung der Regierung wird im März oder April erwartet. Nach den drastischen Einbruch, den die GfK feststellte, ist kaum noch damit zu rechnen, dass irgendeine Getränkegruppe die vorgeschriebene Quote einhält – und von einem Zwangspfand ausgenommen bliebe. Selbst Weinflaschen nicht. Wenn sich das Gericht noch viel Zeit lässt, wird es allerdings kaum noch möglich sein, die Mehrwegquote von 72 Prozent jemals wieder zu erreichen.

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