: „Ein ganz normaler Strafprozess“
Interview CHRISTIAN RATH
taz: Herr Schomburg, in der kommenden Woche beginnt vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag der Prozess gegen Slobodan Milošević. Haben wir dabei eine Abrechnung der internationalen Staatengemeinschaft zu erwarten?
Wolfgang Schomburg: Das ist für mich ein ganz normaler Strafprozess, der vor einem internationalen Gericht stattfindet.
Was ist an diesem Strafprozess normal?
Schon die Konflikte im Vorverfahren waren nicht anders als eine Verhandlung am Berliner Landgericht in Moabit. Sollen Verfahren miteinander verbunden werden oder nicht? Die Staatsanwaltschaft ist anderer Ansicht als das Gericht und ruft die nächsthöhere Instanz an . . .
Moment. Immerhin geht es hier um den Strafprozess gegen einen ehemaligen Staatschef – und um Vorgänge, die er in dieser Funktion zu verantworten hat. Ist das nichts Besonderes?
Doch, das ist natürlich etwas ganz Besonderes. So etwas hätte man vor zehn Jahren noch nicht für möglich gehalten. Und all die hochrangigen Gesprächspartner, mit denen Milošević noch vor wenigen Jahren verhandelt hat, hätten das sicher auch nicht erwartet. Dass es heute einen solchen Prozess geben kann, ist eine außerordentliche Errungenschaft für eine unabhängige Justiz – gerade weil es dennoch ein normaler Strafprozess ist.
Es wirkt manchmal etwas gezwungen, wie ein so eindeutig politischer Prozess entpolitisiert werden soll, zum Beispiel als Milošević im Vorverfahren mehrfach das Mikrofon abgedreht wurde, weil er politische Reden hielt.
Es kommt nicht darauf an, ob seine Äußerungen politisch sind oder nicht, sondern ob sie sich auf das Verfahren in seinem jeweiligen Stadium beziehen.
Kann Milošević dann nie seine Sicht der Dinge zusammenhängend darlegen?
Doch, nach der Verfahrensordnung zu Beginn des Hauptverfahrens, das am nächsten Dienstag beginnt.
Milošević weigert sich immer noch, einen Verteidiger zu bestellen. Hat es das in Den Haag schon einmal gegeben?
Nein.
Welche Rolle wird die Legitimität des Jugoslawien-Tribunals im Prozess gegen Milošević spielen?
Wie Sie wissen, bin ich als Richter am Jugoslawien-Gerichtshof zur Zurückhaltung verpflichtet und außerdem nicht im Milošević-Verfahren tätig. Aber die Legitimität des Gerichtshofes steht außer Frage. Das wurde bereits im ersten Prozess hier in Den Haag geklärt. Zudem wurde uns Richtern gerade erst im letzten Jahr durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit das Mandat erteilt und erneuert.
Dennoch hat Milošević den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg angerufen.
Das ist sein gutes Recht. Aber was er sich davon verspricht, müssen Sie Herrn Milošević schon selbst fragen.
Das vom UN-Sicherheitsrat eingesetzte Jugoslawien-Tribunal ist nun schon seit 1993 aktiv. Hat seine Arbeit denn eine befriedende Wirkung gehabt?
Auf jeden Fall. Betrachten Sie nur die jüngsten Auseinandersetzungen in Mazedonien. Ich bin ziemlich sicher, dass die Situation dort weitaus stärker eskaliert wäre, wenn es den Gerichtshof nicht gegeben hätte.
Der Gerichtshof ist also nicht nur für Vorgänge in der Vergangenheit zuständig?
Nein, sein Mandat ist offen. Wenn es auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens zu Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommt, dann können die Täter in Den Haag angeklagt und verurteilt werden.
Hat die internationale Gemeinschaft dies zur Abschreckung gegenüber den Konfliktparteien explizit betont?
Ich glaube, das war gar nicht notwendig. Die Arbeit des Gerichtshofes ist in der Region durchaus bekannt.
Hat der Gerichtshof auch befriedende Wirkung für die Konflikte der Vergangenheit, etwa in Bosnien oder Kroatien?
Für viele Opfer von damals ist der Auftritt als Zeuge in Den Haag ein ganz bedeutendes Ereignis. Manche sagen, es ist der wichtigste Tag in ihrem Leben.
Hat das Gerichtsverfahren also auch psychosoziale Funktionen?
Auf jeden Fall. Für uns Richter ist das manchmal ziemlich heikel. Einerseits müssen wir darauf achten, dass die Verfahren zügig fortgeführt werden, andererseits ist es auch schwierig, solche Menschen zu unterbrechen, wenn sie ihren Empfindungen über das Verfahrensrelevante hinaus freien Lauf lassen.
Ist für die Opfer auch die Verurteilung der Täter wichtig?
Für die Opfer ist vor allem wichtig, dass Menschen verurteilt werden, die sie als unmittelbar Handelnde erlebt haben, und nicht nur Regierungsmitglieder und Generäle.
Und die Täter? Akzeptieren sie den Gerichtshof inzwischen?
Ich hätte nicht erwartet, dass es so viele Geständnisse gibt. Teilweise wird nur noch über das konkrete Ausmaß der Taten gesprochen.
Das mag auch prozesstaktische Gründe haben.
Natürlich wirkt es sich auch im Strafmaß günstig aus, wenn jemand bereit ist, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Ich würde diese Entwicklung dennoch nicht gering schätzen.
Wie sieht es in der serbischen und kroatischen Öffentlichkeit aus? Hier wurde der Gerichtshof früher ja oft massiv angegriffen.
Schon früher stand nicht unbedingt die Bevölkerungsmehrheit hinter den lauten Protesten. Aber ich habe den Eindruck, dass es inzwischen deutlich ruhiger geworden ist.
Viel Unmut wurde dadurch ausgelöst, dass Vorwürfe gegen die Nato, sie habe im Kosovo-Konflikt zivile Ziele bombardiert, in Den Haag keine Rolle spielten.
Die Vorwürfe wurden von der Anklägerin Carla del Ponte geprüft, und sie kam zu dem Schluss, dass zivile Opfer von Luftangriffen weder beabsichtigt noch rücksichtslos in Kauf genommen wurden.
Das war aber nur das Ergebnis eines internen Vorverfahrens. Wäre es nicht besser gewesen, in dieser Frage einen öffentlichen Prozess zuzulassen?
Wenn schon die Anklägerin zum Ergebnis kommt, dass eine Verurteilung nicht wahrscheinlich ist, dann ist ein Gerichtsverfahren eben ausgeschlossen. Wir können ja keine Prozesse nur aus Gründen der Öffentlichkeitsarbeit führen.
Könnte die Rolle der Nato nicht im Milošević-Verfahren thematisiert werden – wenn es um die Frage geht, ob Serbien in einer Notwehrsituation handelte?
Das ist gut möglich.
Wie abhängig ist der Gerichtshof von seinen Finanziers?
Der Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ist eine Einrichtung der UNO und wird fast vollständig aus dem UN-Haushalt finanziert. Damit ist der Gerichtshof mindestens so unabhängig wie die Vereinten Nationen selbst. Diesem internationalen Gericht kann man gerade nicht den Vorwurf der Siegerjustiz machen wie dem Nürnberger Tribunal nach dem Zweiten Weltkrieg.
Es bleibt aber der Makel, dass es ein Ausnahmegericht ist. Internationale Strafgerichtshöfe gibt es nur für Exjugoslawien, Ruanda und demnächst für Sierra Leone. Viele andere Konflikte bleiben juristisch unaufgearbeitet.
Ja, das ist der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln. Aber wenn es demnächst einen Ständigen Internationalen Strafgerichtshof gibt, dann haben wir eine Einrichtung, die grundsätzlich weltweit zur Verfügung steht.
Wie viel ist ein solcher Strafgerichtshof wert, wenn die USA das Statut nicht ratifizieren?
Trotz des derzeitigen Gegenwindes aus den USA wird in diesem Jahr der sechzigste Staat das Statut ratifizieren. Dann kann das Gericht seine Arbeit aufnehmen. Und sehr lange werden sich auch die USA der internationalen Kooperation nicht entziehen können.
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