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„Sie hat diese Kraft“

Jenseits der Klassen: Monika Treut über Yvonne Bezerra de Mello, die sie mit „Kriegerin des Lichts“ porträtiert hat, und ihre Kritiker in Brasilien

Interview CRISTINA NORD

taz: Frau Treut, bisher beschäftigten Sie sich in ihren Dokumentationen mit Frauen, die in Sachen Sexualität und Gender außergewöhnliche Wege einschlagen. In „Kriegerin des Lichts“ porträtieren sie Yvonne Bezerra de Mello, eine Brasilianerin, die sich in Rio um Straßenkinder kümmert. Wie kam es dazu?

Monika Treut: Kennen gelernt habe ich Yvonne über eine gemeinsame Bekannte in New York. Ich dachte zuerst: Was habe ich mit armen Kindern in Brasilien zu tun? Das ist nicht mein Thema. Doch als ich in Rio war und mir das Projekt in der Favela angeschaut habe, hat sie mich so beeindruckt, dass ich dachte: Ich muss einen Film machen.

„Kriegerin des Lichts“ zeigt sie nahezu unfehlbar in ihrem Engagement. Kann man dem wirklich trauen?

Die erste Frage, die Yvonne in mir hervorrief, war: Ist diese Frau echt? Was ist ihre Motivation? Sie wird in Brasilien von vielen Seiten kritisiert. Man wirft ihr vor, als Angehörige der Oberschicht für die Straßenkinder zu arbeiten, um für sich selbst Publicity zu machen. Aber das ist nicht richtig. Sie hat diese Kraft, den Kindern zu helfen. Der erste Eindruck bleibt bestehen.

Warum kommen die Kritiker im Film nicht zu Wort?

Die Leute haben Angst zu sprechen. Das ist sogar in Yvonnes eigener Familie so. Die älteste Tochter lehnt Yvonnes Arbeit ab. Sie ist konservativ, Richterin von Beruf. Als sie sah, dass wir in der Wohnung drehten, hat sie sofort die Tür zugeschlagen.

Was ist mit anderen Kritikern? Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen?

Die kirchlichen Organisationen sind nicht ganz einverstanden mit Yvonnes Arbeit, wollen das aber nicht öffentlich machen. Wir haben auch andere Interviews geführt, zum Beispiel mit Gewerkschaftsführern, was leider sehr zäh war. In Brasilien wird sehr viel geredet.

So entsteht der Eindruck, dass der Film Yvonne Bezarras Engagement nicht kontextualisiert – als sei sie die einzige, die sich für Straßenkinder einsetzt. Die politische Seite des Problems bleibt ausgespart.

Wenn man 90 Minuten zur Verfügung hat, sollte man sich konzentrieren. Ich hätte es natürlich anders angehen können, aber für mich ist Yvonne das Hauptthema des Filmes. Wie macht jemand aus der Oberschicht eine solche Arbeit? Ich wollte eine Frau zeigen, die von sich aus, aus ihren eigenen Lebensumständen heraus, so etwas tut, ohne an eine Institution angebunden zu sein.

An einer Stelle sagt sie, dass sie schon als Kind Klassenunterschiede nicht akzeptieren wollte. Zugleich profitiert sie von diesen Klassenunterschieden.

Sie braucht das für ihre Balance. Was sie tut in den Favelas, ist harte Arbeit. Es stinkt bestialisch, acht Monate im Jahr ist es so heiß, dass einem auch dann der Schweiß läuft, wenn man im Schatten steht. Jeden Tag tauchen neue Probleme auf – ein Kind, das geschlagen wurde, eines, das vergewaltigt wurde. Um sich dem regelmäßig aussetzen zu können, braucht sie einen Ausgleich, wie das Reiten.

Die Hautfarbe schafft offensichtlich so etwas wie eine soziale Grenze. Yvonne Bezerra thematisiert dies, etwa wenn sie sagt, warum es afrobrasilianischen Eltern so schwer fällt, ihre Kinder zu erziehen. Zugleich scheinen in dieser Analyse die Vorurteile gegen Afrobrasilianer fortzubestehen.

Aber das ist genau andersrum gemeint! Sie erklärt, warum die Eltern nicht mit den Kindern umgehen können: Sie selbst waren Kinder, die keine Möglichkeit hatten, über sich selbst nachzudenken und sich zu entwickeln. Sie wissen es nicht, weil sie selbst nicht erzogen worden sind. Das Bild, das man von Brasilien hat und das zum Teil durch Filme wie „Moro no Brasil“ transportiert wird, ist romantisch. Die Vermischung von Europäern, Afrikanern und Indianern wird als etwas begriffen, das eine wahnsinnig spannende Kultur hervorbringt. Tatsache aber ist: Je schwärzer jemand ist, desto weiter unten steht er in der sozialen Hierarchie.

Warum kommen die Eltern so selten zu Wort?

Weil sie Angst haben, in die Öffentlichkeit zu gehen. Sie sind sich bewusst, dass sie den Kindern nicht geben, was nötig ist. Und sie sind froh, dass die Kinder die Möglichkeit haben, etwas zu lernen. Aber dann gibt es wieder den Alkohol, das Kokain und das Problem, das weder Essen noch Jobs da sind. Wir haben versucht, mit der Mutter von Tiago zu reden – es war fast unmöglich. Die Mutter von Joyce rannte weg, sobald sie die Kamera sah.

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