: Keine demokratische Hochschulreform
Die Bundesregierung hat es versäumt, Übergangsregelungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen. Panikmache um 12-Jahres-Regel
Die Auseinandersetzungen um die neuen Befristungsregeln des Hochschulrahmengesetzes (HRG) machen vor allem eines deutlich: Der Staat ist überfordert, wenn er die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des wissenschaftlichen Personals im Detail selbst regeln will. Seit 1985 versucht der Staat als Gesetzgeber den WissenschaftlerInnen die Modalitäten von Fristverträgen aufzuoktroyieren.
Das größte Versäumnis der rot-grünen Bundesregierung ist, dass sie diesen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie nicht korrigiert hat. Arbeitgeber und Gewerkschaften gelingt es doch am besten, in kollektiven Vereinbarungen Beschäftigungsbedingungen auszugestalten und Interessen auszugleichen. Rot-Grün und Schwarz-Gelb widersetzen sich dem seit 15 Jahren.
Statt den Sachverstand der Betroffenen zu aktivieren, haben SPD und Grüne nun also die HRG-Befristungsregelungen eigenhändig überarbeitet. Der Handlungsbedarf war in der Tat groß: Heute werden praktisch alle neu eingestellten nicht professoralen WissenschaftlerInnen befristet beschäftigt – häufig mit Laufzeiten von nicht mehr als ein oder zwei Jahren. Zeitvertrag reiht sich an Zeitvertrag, mit fatalen Folgen: Die Qualität von Forschung und Lehre ist substanziell gefährdet; die Beschäftigten sind einer kontinuierlichen sozialen Unsicherheit ausgesetzt.
Zum Einmaleins einer fortschrittlichen Hochschulreform gehört es daher, den Wildwuchs befristeter Arbeitsverträge einzuhegen. Neben befristeten Qualifikationsstellen müssen Hochschulen und Forschungseinrichtungen endlich ausreichend unbefristete Funktionsstellen anbieten.
Die Entscheidung über einen dauerhaften Verbleib von Nachwuchskräften im Wissenschaftssystem sollte möglichst früh fallen: nicht erst, wie heute, ab Mitte 40, sondern bereits nach der Promotion. Nur so lässt sich auch Chancengleichheit für Frauen und Männer erreichen, die sich nicht nur Wissenschaft hingeben, sondern sich Familie und Erziehung widmen. An dieser Herausforderung ist die Bundesregierung aber schon deshalb gescheitert, weil sie auf die Einführung eines tenure track verzichtet hat – eine kalkulierbare Laufbahn für NachwuchswissenschaftlerInnen.
Dennoch ist das Anliegen der Bundesregierung erkennbar, mit dem neuen Befristungsrecht ein Umdenken bei Hochschulen und Forschungseinrichtungen auslösen zu wollen. Wenn diese die Kontinuität ihrer wissenschaftlichen Arbeit sichern möchten, haben sie gefälligst auch für angemessene Arbeitsbedingungen zu sorgen. Wissenschaftliche MitarbeiterInnen können nach der Neuregelung maximal 12 (in der Medizin 15) Jahre befristet beschäftigt werden. Es ist übrigens falsch, dass die Wissenschaftskarriere zwangsläufig danach enden muss. Wer von „Berufsverboten“ oder „Massenentlassungen“ spricht, bringt entweder fehlende Sachkenntnis zum Ausdruck oder betreibt Desinformation. Wissenschaftliche MitarbeiterInnen können auch über die 12 Jahre hinaus beschäftigt werden: In unbefristeten Verträgen, wie sie im Arbeitsrecht sonst auch üblich sind.
100 Prozent Risiko
Selbst befristete Drittmittelprojekte zwingen nicht dazu, die Arbeitsverträge zu befristen: Es ist möglich, MitarbeiterInnen unbefristet zu beschäftigen – und im Falle des Auslaufens von Projektmitteln betriebsbedingt zu kündigen. Für die Betroffenen ist dies zwar ebenfalls unerfreulich. Gleichwohl haben sie eine größere Rechtssicherheit: Die Kündigung muss begründet sein, sie ist arbeitsgerichtlich überprüfbar, vor allem aber darf sie erst dann ausgesprochen werden, wenn die Drittmittel wirklich ausgelaufen sind.
Hochschulen fordern dagegen in der Regel maximale Flexibilität von ihren WissenschaftlerInnen – bei 100-prozentigem Risiko für die betroffenen Mitarbeiter. Diese ungleiche Lastenverteilung ist ein Grund dafür, dass qualifizierte Nachwuchskräfte ins Ausland abwandern.
Das neue Regelwerk hätte im Ergebnis tatsächlich mehr Berechenbarkeit für alle Beteiligten bringen können – wenn die Bundesregierung nicht längst den Rückzug angetreten hätte. In ihren Interpretationshilfen zum neuen HRG versucht sie aufzuzeigen, dass Wissenschaftseinrichtungen auch weiterhin über die 12-Jahres-Grenze hinaus munter befristen könnten – nach Maßgabe des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. Ganz nach dem Motto: Seht her, es gibt genug Schlupflöcher in unserem Reformwerk. Am Ende bleibt nicht nur alles ebenso unberechenbar und intransparent wie vor der Gesetzesänderung. Auch der erwünschte Zuwachs an unbefristeten Arbeitsverträgen wird auf sich warten lassen.
Nun rächt sich doppelt, dass die Veränderung von strukturellen Rahmenbedingungen ganz unterblieben ist: Es gibt weder eine gesetzliche Mindestquote für unbefristete Beschäftigungsverhältnisse noch ein Bund-Länder-Sonderprogramm, das den Hochschulen materielle Anreize für die Umstellung auf eine neue Personalstruktur geben könnte. Auch auf die sonst üblichen Übergangsregelungen hat die Regierung ganz verzichtet.
Das bedeutet, dass die Regierung bei der neuen Besoldung den ProfessorInnen lebenslangen Vertrauensschutz gewährt, gleichzeitig aber dem nicht professoralen Personal abverlangt, sich über Nacht auf neue Befristungsregelungen einzustellen. Das trifft eine sich selbst schon verloren sehende Generation, jene „Generation X“, der man schon immer den Eindruck vermittelt, überzählig zu sein: Sie war der „Studentenberg“, den es zu untertunneln galt; ihr stehen heute die Bafög-Schulden bis zum Hals; ihr wird Riesters Rentenreform als Erstes das Leben schwer machen.
Die Koalition hat nicht nur diejenigen, zu deren Schutz sie das HRG novellieren wollte, gegen sich aufgebracht, sondern das Anliegen einer demokratischen Hochschulreform insgesamt beschädigt. ANDREAS KELLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen