: Bush ruft, Rot-Grün sträubt sich
Die Bundesregierung will einen Angriff der USA auf Irak nicht unterstützen – in den Weg stellen will sie sich dem großen Bruder aber auch nicht
aus Berlin PATRIK SCHWARZ
Helmut Sonnenfeldt saß schon in Richard Nixons Nationalem Sicherheitsrat, und seitdem hat sich so mancher Republikaner im Weißen Haus auf den Rat des gebürtigen Deutschen verlassen. Der Stratege an der Washingtoner „Brookings Institution“ ist darum ein ganz guter Gradmesser dafür, wie die regierenden Konservativen in den USA über die jüngsten europäischen Warnungen vor einem Angriff auf den Irak denken: „Aus irgendwelchen Gründen schicken Leute Stinkbomben über den Atlantik“, sagt Sonnenfeldt.
Leute wie Joschka Fischer zum Beispiel, Frankreichs Außenminister Hubert Vedrine und der britische EU-Kommissar Chris Patten. Im Laufe der letzten zwei Wochen ist die Liste der Mahner so lang geworden, dass sogar Guido Westerwelle sich als Amerika-Kritiker geoutet hat: „Wenn der US-Präsident mal eben drei Staaten zum öffentlichen Angriffsziel erklärt, muss dieses den Widerspruch der Europäer finden.“
Was Sonnenfeldt Stinkbomben nennt, ist in Wahhreit Sprengstoff für die Anti-Terror-Brücke, die seit dem 11. September Europa und die USA verbunden hat: Aus Sicht der Europäer gilt es zu vermeiden, vom großen Bruder in einen unüberschaubaren „Weltkrieg gegen den Terrorismus“ gezogen zu werden, wie ihn ein US-Senator bereits proklamierte. Umgekehrt blicken selbst besonnene Amerikaner wie Außenminister Colin Powell genervt auf Partner jenseits des Atlantiks, die wieder meckern und zaudern, kaum dass ein Sieg in Afghanistan halbwegs im Sack ist.
George Bush gibt derzeit „Indiana Jones – Der Jäger der Achse des Bösen“. Nach anfänglicher Zurückhaltung haben sich jetzt auch die Musterknaben der uneingeschränkten Solidarität, Gerhard Schröder und Joschka Fischer, auf die Seite der Skeptiker geschlagen. Realistischerweise halten sie eine deutsche Beteiligung an einem Waffengang gegen Saddam Hussein für rot-grünen Selbstmord. Doch hinter den ersten Worten der Distanz zum Achsen-Jäger Bush steckt bisher noch kein Konzept. So werden die Deutschen bald die Frage beantworten müssen, ob ihr Widerstand nur aus höflichem Zur -Seite-Treten besteht, wenn die USA losstürmen. Verweigert Rot-Grün den USA Überflugrechte? Versagt die Bundesregierung in der UNO einem möglichen US-Angriff die Unterstützung? Wie positioniert sich die Nato? Dürfen die Amerikaner ihre Stützpunkte in Europa für Operationen gegen den Irak nutzen? Und was, wenn sich der Nato-Partner Türkei an Aktionen beteiligen will?
In Berlin hoffen die politischen wie militärischen Strategen derzeit noch, auf diese Fragen keine Antwort geben zu müssen. Am liebsten würde man den Amerikanern ihre Entschlossenheit ausreden. Stereotyp weisen Schröder, Fischer und die Ihren darauf hin, es gebe noch keine „Pläne“ der USA für einen Angriff. Unverdrossen heißt es im Auswärtigen Amt, das Ziel der europäischen Einsprüche bestehe darin, die Entscheidungsfindung in Washington zu beeinflussen. „Die Debatte ist noch in amorpher Form“, behauptet ein Diplomat. Auch sei der Eindruck falsch, die transatlantische Auseinandersetzung finde nur über die Medien statt. Zwar hat Colin Powell letzte Woche die Europäer via Financial Times wissen lassen, er halte ihre Einwände für „inkonsequent“, doch telefonierten der deutsche und der amerikanische Außenminister sowohl am letzten Mittwoch als auch am Sonntag nach Fischers abgebrochenem Kabul-Besuch miteinander.
Zur deutsch-amerikanischen Abrüstung sollen außerdem Bundestagsprotokolle beitragen wie das vom 28. November 2001, wo Joschka Fischer bereits vor einer Ausweitung des Anti-Terror-Kriegs auf den Irak warnte. Gewandelt habe sich also nicht der Kurs der Deutschen, sondern der der Amerikaner: „Unsere Flughöhe ist dieselbe geblieben“, erklärt ein Beamter, „der Ton da drüben ist anders geworden.“ Nicht zuletzt mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst übt Rot-Grün nun eine zeitgemäße Form der Sitzblockade: Wir stehen nicht auf, um die USA zu unterstützen – aber in den Weg stellen wir uns einem Angriff auch nicht.
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