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Schule muss noch lernen

Das Bildungssystem hat bei der Integration nichtdeutscher Kinder versagt, das zeigt nicht nur die Pisa-Studie. Bei einer Fachtagung setzt Schulsenator Klaus Böger auf Deutsch als Zweitsprache. Experten kritisieren mangelnde Konzepte

von SABINE AM ORDE

Es war kein guter Tag, um über Integration zu reden. Das Zuwanderungsgesetz, ursprünglich das rot-grüne Reformprojekt in Sachen Integration, geht gerade den Bach runter. Die Begleitmusik dazu stammt von der Union: Sie erzählt von Abschottung und Verteidigung. Einwanderung muss begrenzt werden, lautet der Refrain. Integration aber setzt Offenheit voraus.

Dennoch ging es am Dienstag in der Werkstatt der Kulturen um Integration. Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) und die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung hatten zur Fachtagung „Bildung als Integrationsfaktor“ geladen. Denn spätestens seit der Veröffentlichung der Schülervergleichsstudie Pisa ist klar: Das deutsche Bildungssystem hat bei der Integration nichtdeutscher Kinder versagt.

In keinem anderen Land der Studie schneiden Migrantenkinder so schlecht ab wie in Deutschland. Bei knapp der Hälfte der nichtdeutschen 15-Jährigen ist die Lesekompetenz so gering, dass sie als „potenzielle Risikogruppe“ gelten. „Diese Kinder werden beim Übergang ins Berufsleben große Probleme haben“, sagt Petra Stanat, Projektkoordinatorin der Pisa-Studie. „Und das, obwohl 70 Prozent von ihnen ihre gesamte Schullaufbahn in Deutschland absolviert haben.“ Pisa zeigt auch, dass die Chance, ein Gymnasium statt einer Hauptschule zu besuchen, für deutsche Kinder viermal so groß ist wie für nichtdeutsche. Es sei denn, beide Gruppen sind im Lesen gleich gut. Dann gibt es kaum Unterschiede. Für Stanat ist deshalb klar: „Die Sprachkompetenz muss gefördert werden.“

Daran zweifelt in der Werkstatt der Kulturen niemand. Dass dafür mehr Ganztagseinrichtungen, mehr Personal und sozial gemischte Kieze hilfreich sind, ist auch unbestritten. Doch wie kann die Sprachkompetenz der Migrantenkinder konkret gefördert werden? Soll nur Deutsch gelehrt werden? Oder müssen die Kinder zunächst in der Muttersprache lesen und schreiben lernen? Und mit welcher Methode bringt man ihnen das eine oder andere bei? Alles Fragen, die nicht ausreichend erforscht, dafür aber heiß umstritten sind.

Bildungssenator Klaus Böger (SPD) setzt auf Deutsch. „Die Aufgabe des öffentlichen Bildungssystems ist es, dass die Kinder Deutsch lernen“, sagt er. Zweisprachige Erziehung als Modellprojekt oder an Europaschulen, das findet der Senator okay. Aber als Regelfall? „Bei fünf bis acht Sprachen in einer Klasse ist das unmöglich. Und geht auch in die falsche Richtung.“ Böger bekommt Applaus – von einigen.

Im Publikum erhebt sich eine Frau. „In Schweden“, sagt Christel Kottmann-Mentz, „hat jedes Kind in der Schule das Recht auf seine Muttersprache“. Schweden hat eine ähnliche Einwanderung wie Deutschland, aber bei der Pisa-Studie weit besser abgeschnitten. Kottmann-Mentz leitet die deutsch-türkische Europaschule, sie kennt sich mit der zweisprachigen Erziehung aus. „Die türkischen Kinder fühlen sich nicht akzeptiert und lehnen die Schule deshalb ab.“ An der Europaschule sei das anders. „Da haben Kinder und Eltern nicht mehr das Gefühl, falsch zu sein.“ Nicken im Publikum.

Böger aber beharrt auf seiner Position. „Der Schlüssel ist die Fähigkeit, Deutsch zu sprechen.“ Der Senator weiß von den Untersuchungen, die nahe legen, dass ein Kind erst in seiner Muttersprache sicher sein muss, um eine Zweitsprache richtig zu lernen. Doch für ihn hat Deutsch Priorität. „Außerdem ist haushaltspolitisch alles andere eine Illusion.“ Denn zweisprachiger Unterricht, der mit zwei Bezugspersonen arbeitet, ist teuer.

Böger preist Deutsch als Zweitsprache, im Fachjargon schlicht DaZ genannt. Der Förderunterricht wird von der Vorschule bis zur 10. Klasse angeboten. „734 Stellen haben wir dafür bereitgestellt.“ Im Publikum regt sich Protest. „Diese Stunden werden doch meist als Vertretungsreserve genutzt“, sagt ein Lehrer aus Neukölln. „Ich bin Lehramtsstudentin und zweisprachig“, erklärt eine junge Frau. Sie will DaZ unterrichten. An der Uni hat sie das aber nicht gelernt.

Später, als Böger schon beim nächsten Termin weilt, geht die Erziehungswissenschaftlerin Havva Engin mit DaZ noch härter ins Gericht. „Es gibt kein Sprachförderkonzept und keinen Rahmenplan“, sagt sie. Benötigt werde ein Konzept, wie man Kindern professionell und ihrem Alter entsprechend Deutsch vermitteln kann. Für Engin ist klar: „Am schulischen Misserfolg der Kinder wird sich nichts ändern, wenn sich der institutionelle Rahmen nicht ändert.“

Fehler in Politik und Schule sind benannt. Aber was ist mit der türkischen Elternschaft? „Möglichkeiten der Erhöhung der Sensibiltät innerhalb der türkischen Community“ heißt sperrig die abendliche Schlussveranstaltung. Doch über die türkische Community wollen weder TBB-Sprecher Safter Cinar noch der Vorsitzende des Türkischen Elternvereins, Kazim Aydin sprechen. Statt einer offenen Debatte über den Anteil der türkischen Eltern an der Bildungsmisere ihrer Kids kritisiert Cinar noch eimal die Bundesregierung, die Diskussion über Ehefrauen aus Anatolien und türkische Fernsehsender. Beides wird gern als Grund für die mangelnden Deutschkenntnisse türkischer Kinder angeführt. Als auch Aydin fordert, dass türkische Eltern vom deutschen Schulsystem stärker angesprochen werden müssen, wird Christina Frank-Schuld ungeduldig. „Jetzt machen Sie es sich aber zu einfach“, sagt die Lehrerin, die eine Schule „in einem sozialen Brennpunkt“ in Wedding leitet. „85 Prozent unserer Kinder sind nichtdeutscher Herkunft. Wir versuchen, die Eltern in die Schule zu holen, aber wir finden keinen Weg.“ Aydin schlägt einen Elternabend nach türkischen Vorbild vor. „Das haben wir alles schon probiert“, sagt die Schulleiterin. Im Publikum meldet sich eine andere Lehrerin zu Wort. „Wir sollten endlich mit den Beschuldigungen aufhören und zu einer konzertierten Aktion kommen“, fordert sie. Dafür aber braucht es eine neue Veranstaltung.

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