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Von Grün zu Grau

Die Zuwanderungsdebatte zeigt: Die Grünen verlieren ihr Profil. Deswegen brauchen sie ein neues. Da sie ohnehin alt werden, könnten sie als Rentnerpartei groß rauskommen

Beispiel Arbeitsmarkt: Die SPD hat hier eine heikle Schwachstelle – die Grünen aber eine komplette Leerstelle

Bei Parteien, deren Existenz gefährdet ist, darf man sich fragen, ob sie überhaupt noch gebraucht werden. FDP wie PDS haben, im Überlebenskampf erprobt, ausreichende Antworten parat. Die Grünen dagegen sind, wie stets, auch bei der eigenen Existenzberechtigung auf der Suche. Helfen wir einmal mit.

Zwei Fragen gilt es zu beantworten. Die erste ist die machtpolitische: Wer braucht die Grünen? Die eigenen Funktionäre, klar; und sonst? Vor allem die SPD. Denn die Grünen sind der bequemste Koalitionspartner, den sie sich vorstellen können –allzeit bereit, sich auf schwierigem, unpopulärem Terrain verschleißen zu lassen, und in allen inhaltlichen Fragen handzahm und kuschlig. Zudem hätte die SPD mit FDP und/oder Grünen zwei mögliche Koalitionspartner, die CDU nur einen.

Die zweite Frage ist die programmatische: Wofür werden die Grünen gebraucht? Beantwortbar ist sie eigentlich nur in der Vergangenheitsform: Wofür wurden die Grünen gebraucht? Sie hatten zwei historische Funktionen: die Ökologie im politischen Koordinatensystem zu verankern und eine Generation, die einstmals gegen das herrschende System gekämpft hatte, mit eben diesem System zu versöhnen. Beide Aufgaben haben sie erfolgreich bewältigt, und trotz jahrelanger verzweifelter Suche ist weder eine Funktion noch eine Generation nachgewachsen, die von den Grünen erledigt werden müsste.

Die Profilierungschancen der Regierungsbeteiligung wurden durchweg nicht genutzt. Zum Beispiel Finanzen: Gegen Oskar Lafontaine waren Christine Scheel und Oswald Metzger gut positioniert, aber der Wechsel zu Hans Eichel erwischte sie auf dem falschen Fuß. Zum Beispiel Arbeitsmarkt: Die SPD hat hier eine heikle Schwachstelle – die Grünen aber eine komplette Leerstelle. Zum Beispiel Gesundheit: Dass Ulla Schmidt auch nicht besser abschneidet als Andrea Fischer, ist ein schwacher Trost. Und aktuellstes Beispiel: Zuwanderung. Hier konnten die Grünen ihre Programmatik anfangs besonders erfolgreich umsetzen, was allerdings der CDU 1999 den Wahlsieg in Hessen ermöglichte. Danach nahm Schröder den Grünen ihr Spielzeug weg und setzte stattdessen auf den Konsens der Volksparteien. Wenn nun Rot-Grün im Zuwanderungsgesetz ausdrücklich die Begrenzung des Zuzugs verankert, verliert nicht nur die CDU ein Wahlkampfthema, sondern die Grünen auch ein weiteres Stück Existenzberechtigung.

Was bleibt? Die Ökologie, das grüne Politikfeld schlechthin. Zu dumm, dass man damit Wahlen nur verlieren kann: 1998 schaffte das der Benzinpreis – im Herbst ist heißester Kandidat für diese Rolle das ökonomisch sinnlose, ökologisch kontraproduktive und ordnungspolitisch verheerende Dosenpfand. Und weil inhaltlich so gar nichts übrig blieb, kam es zur völlig ungrünen Fixierung auf den inhaltsleeren Politsuperstar Joschka Fischer, dessen Außenpolitik so gar nicht grün, sondern durch und durch deutsch ist.

Es scheint also eine ähnliche Entwicklung bevorzustehen, wie sie vor fünfzig Jahren die Vertriebenenpartei BHE, der „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“, nahm: Ihre Wahlerfolge trugen zur sozialen Integration der Vertriebenen bei, und durch diese soziale Integration gab es keinen Grund mehr, eine eigene Vertriebenenpartei zu wählen. Ihre Funktionäre kehrten der Politik den Rücken, wechselten zur CDU oder versuchten sich immer wieder an der Gründung neuer Rechtsparteien.

Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied: Der BHE war ein soziales Phänomen und konnte als solches mit steigendem Wohlstand überflüssig werden. Die Grünen sind ein demographisches Phänomen und werden erst dann endgültig überflüssig, wenn die Generation das Zeitliche segnet, aus der sich die grüne Anhängerschaft rekrutiert. Und aus diesem Unterschied lässt sich in der Tat eine neue Existenzberechtigung für die Grünen ableiten. Auch wenn sie zur Zeit nur für den Machterhalt Gerhard Schröders gebraucht werden, in etwa zehn Jahren kann ihnen eine neue historische Aufgabe zuwachsen: Die Babyboomer-Jahrgänge kommen ins Rentenalter. Der Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung steigt stark an, der Anteil der im Erwerbsleben stehenden mittleren Jahrgänge nimmt ab. Seit langem ist uns klar, dass dann der Verteilungskonflikt zwischen Alt und Jung drastisch an Schärfe zunehmen wird. Die Grünen als die Partei der sich 68er nennenden Babyboomer wären in diesem Konflikt eine ideale Interessenvertretung für die Alten: Sie sind kampferprobt und in Klientelpolitik geübt, sie haben die Schere zwischen großer Forderung und realer Politik bereits kennen gelernt, und sie könnten endlich mal wieder eine richtige Bewegung anführen. Fischer, Künast, Bütikofer und Co. müssten nicht einmal den Parteinamen von Grün auf Grau umfirmieren – schließlich haben sie mit „Bündnis 90“ bereits den idealen Namen für eine Rentnerpartei.

Nur: Wie die zehn Jahre bis dahin überbrücken? Es müsste eine Art Vorruhestandsposten her, auf dem die Partei ein paar Prozente halten und sich auf ihre neue Aufgaben vorbereiten kann. Und wenn diese Nische auch noch Positionen abdeckt, die die Sozis gar nicht abdecken können, wird ihre Besetzung durch die Grünen auch bestimmt mit einer ordentlichen Leihstimmensubvention aufgepäppelt. Theoretisch gäbe es eine ganze Menge solcher Nischen: etwa Biotechnologie (um noch gesünder noch älter werden zu können), Familienpolitik (damit irgendjemand die eigenen Renten bezahlen kann) oder nachhaltige Wirtschaftspolitik (damit die Aktiendepots von heute auch in dreißig Jahren noch was wert sind). Die meisten davon (zum Beispiel alle drei hier genannten) sind allerdings mit dem ideologischen Horizont grüner Funktionäre unvereinbar.

Was bleibt? Die Ökologie. Zu dumm, dass man damit Wahlen nur verlieren kann – wie schon 1998

Bleibt ein Thema für die Nischenkandidaten, das zu den Grünen passte und auch für die SPD attraktiv wäre: die Grünen als die neue Landvolkpartei. Doch, ganz im Ernst. Die Politik Renate Künasts macht der immer noch mächtigen Bauernlobby keine Freude, bietet aber eine nachhaltige und tragfähige Basis für die zukünftige Entwicklung des ländlichen Raumes. Sauberes Arbeiten für regionale Absatzmärkte statt Produktion für einen Weltmarkt, auf dem doch nicht konkurriert werden kann, eine Befreiung der Landwirtschaft vom veralteten Leitbild des Familienbetriebs und ein Auffüllen ländlicher Räume durch stadtmüde Kopfarbeiter ergeben neue Chancen für die tiefste Provinz. Und es ist in der Tat den Schweiß der Edlen wert, der Toskanafraktion die Vorzüge von Frankenwald und Uckermark näher zu bringen. Der SPD würde niemand eine Verbundenheit mit der Scholle abnehmen, sie bleibt auf dem Dorf auf ewig in der Diaspora, die Grünen hingegen können sich wendlanderprobt in diese Richtung drehen. Schließlich ginge man ja auf den seit Jahrzehnten gepredigten Weg – zurück zur Natur.

DETLEF GÜRTLER

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