: Bergmanns letzte Offensive
Bundesfamilienministerin startet in den Wahlkampf: Mehr Kindertagesstätten, mehr Geld für arme Familien und Haushaltsführung als neues Schulfach. Ehegattensplitting soll gekürzt werden
von HEIDE OESTREICH
Juhu, Familienwahlkampf! Schröder liebt die Familie. Fischer liebt die Familie. Die zuständige Ministerin Christine Bergmann wird ganz schön geguckt haben in den letzten Wochen. Vier Jahre litt sie unter weitgehender Missachtung ihrer Themen und ihrer Person. Nun rauscht der Kanzler mal schnell an ihr vorbei und kündigt die „radikale Veränderung“ der Kinderbetreuung an.
Zwar sind die familienpolitischen Pläne für die nächste Legislaturperiode, die sie gestern vorlegte, nicht ganz so glanzvoll wie Schröders Ankündigung, doch strahlen sie dafür eine gewisse Realitätsverbundenheit aus.
Zwei Schwerpunkte hat die Ministerin gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden entwickelt: Die Kinderbetreuung muss ausgebaut werden. Und die Armut von Familien soll verhindert werden.
Beides hänge dabei durchaus zusammen, so Bergmann. So rutschten im Westen Deutschlands doppelt so viele Alleinerziehende in die Sozialhilfe wie im Osten, weil es keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre kleinen Kinder gibt und sie nicht arbeiten können. Nur 3,8 Prozent der Kinder unter drei Jahren haben im Westen einen Betreuungsplatz, im Osten sind es immerhin 37,3 Prozent, erläuterte die Ministerin. Wie die Betreuung bedarfsgerecht ausgebaut werden kann, soll ein „föderaler Gipfel“ von Bund, Ländern, Gemeinden und Wohlfahrtsverbänden entwickeln. Eine Studie soll ermitteln, inwieweit Eltern über Gebühren an den Kosten der Betreuung beteiligt werden können. Kostenlos für die Eltern werde die Betreuung auf keinen Fall, stellte Bergmann klar.
Über die Finanzierung der neuen Betreuungseinrichtungen, die bisher von Ländern und Gemeinden getragen wurde, soll ebenfalls zwischen Bund, Ländern und Kommunen beraten werden. Bergmann hat vor, die Kommunen in anderen Bereichen zu entlasten, um Geld für die Kinderbetreuung freizusetzen. Die Reform der Gemeindefinanzen müsse auf dieses Ziel hinarbeiten. Es gebe bereits konkrete Vorschläge, über die man aber noch Einvernehmen herstellen müsse, so die Ministerin.
Parallel soll die Armut von Kindern vermieden werden. Nicht nur die Sozialhilfe, auch Niedrigeinkommen führten bei Familien zu Armut, betonte Bergmann. Als Beispiel dafür, wie diese Form der Armut vermieden werden könnte, nannte sie das „Mainzer Kombilohnmodell“. Nach diesem Modell, das demnächst bundesweit eingeführt werden soll, wird nicht nur ein niedriges Einkommen für bisher Langzeitarbeitslose aufgestockt, sondern zudem noch ein Kindergeldzuschlag gezahlt. Bei der Sozilahilfereform, die nach der Wahl anstehe, müsse eine solche Form von Kindersicherung mit bedacht werden. Zudem möchte Bergmann ein Schulfach „Familie und Haushalt“ an allgemeinbildenden Schulen einrichten. Denn viele Familien verarmten auch, weil sie ihren Alltag schlicht nicht bewältigen könnten, heißt es in Bergmanns Erklärung.
Zwecks Finanzierung des Programms soll, wie mehrfach angekündigt, das Ehegattensplitting abgeschafft werden. Ganz abschaffen kann man es nicht. Der Unterhalt des Ehegatten muss bei der Steuer nach wie vor berücksichtigt bleiben. „Aber wie hoch man diesen Unterhalt ansetzt, das ist die Frage“, meinte Bergmann. Einen Splittingvorteil von 8.700 Euro im Jahr, wie er jetzt für bestimmte Bezieher hoher Einkommen gilt, halte sie für übertrieben. Die „maßvolle Begrenzung“ des Splittings solle Familien „mit normalem Einkommen und Kinder“ nicht treffen. Bis zu 2,5 Milliarden Euro soll die Splittingreform bringen, wenn man wohlwollend rechnet. Zu wenig, um all die Maßnahmen der Ministerin zu finanzieren. Aber dafür ist ja auch Wahljahr.
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