: Bunte Löffelei
■ Lirum, Larum, Löffelstiel – 1.068 kunterbunte, edle und Mini-Exponate zum Suppeaufnehmen und Würfelzuckkerrühren , zeigt jetzt das Wagenfeld-Haus / Eine kleine Löffelkulturgeschichte
Was wäre die Welt bloß ohne Löffel? Arm. Schade um die Suppen. Und schade vor allem um die Geschichten. Geschichten, wie sie zum Beispiel Hermann Jünger erzählt. Der Goldschmied, der seit Jahrzehnten Löffel und Anekdoten sammelt, hat jetzt beides zu einer Kulturgeschichte dieses außerordentlichen Besteckteils zusammen getragen. Und gestern hat er sein amüsantes Löffelpanorama in Bremen eröffnet.
„Gabeln kommen, Messer gehen, nur der Löffel bleibt bestehen“, ist einer von diesen Bekenntnissen an die geliebte Kelle, die Jünger jetzt im Wilhelm-Wagenfeld-Haus verbreitet. 1.076 Exponate – „für die Versicherung mussten die alle gezählt werden“ – hat er in Vitrinen gepackt. Sortiert nach Art (Glas, Porzellan, Holz, Plastik, ...) oder Herkunft (Asien, Afrika, Australien, ...) oder Funktion (Geschenklöffel, Abschiedslöffel, Kriegslöffel, ...).
Kriegslöffel? Richtig. Denn damit fängt Jüngers Löffelgeschichte überhaupt erst an. Mit einem völlig krummen Ding aus Alpakka, das zu den wenigen Sachen gehört, die Jüngers Onkel Hermann hinterlassen hat. Dieser Löffel nämlich hatte dem Soldaten im ersten Weltkrieg das Leben gerettet und – in der Uniformtasche steckend – einen Schuss abgelenkt. „Dies ist nicht nur ein verbeultes Stück Metall“, sagt Hermann Jünger leise über das Familienerbstück. Sondern eine „sehr persönliche Erinnerung an Krieg, Helden und Tod“. Der kleine Löffel war für ihn zum Geschichtenerzähler geworden – und Jahre später zum Grundstein seiner Sammlung.
Schicksale wie diese, gibt es viele. Jünger hat ein paar davon nach Bremen getragen: selbst geschnitzte, geschmiedete und rostige, meist brachial-wirkende Esswerkzeuge – vom Krieg, der Flucht, dem Lager. Heutigen Betrachtern, die den Überblick über ihre Besteckschubladen längst verloren haben, machen sie den immensen Wert des Besteckteils in Notzeiten klar. In Konzentrationslagern wurden Löffel für eine halbe Brotration gehandelt, heißt es in einem Begleittext. Man musste hungern, um sich einen leisten zu können, aber ohne Löffel hätte man die tägliche Suppe nicht essen können und noch mehr hungern müssen.
Die 1.076 Jünger-Stücke zeigen aber mehr als nur Massen von Löffeln, sie dokumentieren die ganze Vielfalt der Esskultur: Angefangen vor 1.500 Jahren mit einem Stück ausgeschabten Knochen bis zu einem Haufen billigster Plastikschie-ber. 83 solcher Eisbecherlöffel – „und da ist keiner wie der andere“ – hat Jünger gefunden. Zwar hätte man gemeinhin annehmen können, dass sich im Laufe der Löffeljahrhunderte eine allgemeingültige Form herauskristallisiert hätte. Statt dessen aber wimmelt es nur so von unterschiedlich geformten Mundschaufeln, je nach Zweck und Bedarf. Mokkalöffel zum Beispiel, Olivenlöffel oder Zucker-streulöffel, gar Ausstechformen für Löffelbisquit. Und Kinderlöffel aus den USA mit „einem Plastikbezug gegen Verletzungsgefahren“ auf der Laffe.
Interessanter noch sind die Weisheiten rund um diese „Verlängerung des Armes“, wie Pablo Neruda schrieb. Bereits ein Blick ins örtliche Telefonbuch offenbart den namensgebenden Einfluss dieser Kelle. Eine halbe Spalte voller Löffelfamilien allein in Bremen: Löffelbein, Löffelholz und natürlich Löffelmanns.
Wer es gut hatte, so sagte man früher, wurde mit „einem silbernen Löffel im Mund geboren“. Heute singt The Who, „I was born with a plastic spoon in my mouth.“ Löffel sind überall, ahnt man schnell. In Liedern, in Sprichwörtern („Mit der Gabel ist's ne Ehr, mit dem Löffel kriegt man mehr“) und Bücher voll mit Geschichten, in denen sich Könige um den kleinsten Löffel der Welt streiten.
Löffelfan Jünger jedenfalls hofft, dass die Besucher diese „elemantaren Gebrauchgegenstände“ jetzt mit anderen Augen betrachten. Und vermutlich zum ersten Mal in ihren Grabbelschubladen nach Löffelgeschichten forsten
Dorothee Krumpipe
Die Ausstellung „Herbei, herbei, was Löffel sei ...“ ist noch bis zum 3. Juni im Wilhelm Wagenfeld Haus zu sehen. Immer Sonntags um 13 öffentliche Führungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen