: Alice im Morgenland
Wer hat Angst vor dem Koran? Eine Tagung mit Alice Schwarzer zu „Frauen und Fundamentalismus“ in Tutzing versuchte sich an einer Analyse des Islamismus, kam aber nicht weiter als bis zum Kopftuch
von DANIEL BAX
In Bayern bietet sich Populismus wohl an. Doch an diesem Abend kommt er von links – jedenfalls von links oben, vom Stehpult – und hört auf die Stimme von Alice Schwarzer. Es geht um „Frauen und Fundamentalismus“, so der Titel der Tagung, zu der die Evangelische Akademie in Tutzing gerufen hat, und Schwarzer ist ihr Stargast. „Die Schläfer sind unauffällig. Aber ihr Umfeld kennen wir alle“, mahnt sie ins volle Rund des Auditoriums.
Gut nur, dass keine pogrombereiten Jungmänner im Saal sitzen, sondern lediglich eine gute Hundertschaft mild ergrauter Mittfünfzigerinnen, die sich von solcher Polemik unterfordert fühlen. „Unreflektierte Fremdenliebe ist keine Lösung!“, wirft ihnen Alice Schwarzer entgegen. Aber hatte das irgendwer behauptet?
Alice Schwarzer hat den Islamismus entdeckt. Wieder einmal, denn schon 1978 ist sie ihm begegnet, als sie mit Kollegen in den revolutionären Iran fuhr und eine Ahnung des bevorstehenden Terrors bekam. Früh sah sie die Folgen einer Mullahherrschaft voraus und betrachtet sich deshalb seitdem als Fundamentalismusexpertin. Heute sieht sie „falsche Toleranz“ am Werk, wenn kleine Mädchen mit Kopftuch in die Schule kommen und eine Lehrerin wie Fareshta Ludin vor dem Bundesverfassungsgericht auf das Recht klagt, mit ihrem Kopftuch zu unterrichten. Und beklagt die Tatsache, dass Anhängern der Islamischen Heilsfront aus Algerien hierzulande Asyl gewährt wird, den Opfern von deren Terror dort allerdings nicht. „Zynische Solidarität mit den Mördern“ nennt sie das.
Im Islamismus hat Alice Schwarzer einen nur natürlichen Gegner gefunden, schließlich müsste ihr schon die Religion als solche unsympathisch sein. Weil sie aber nicht wie eine autoritäre Atheistin klingen möchte, die einer Minderheit ihre Religion missgönnt, mogelt sie sich um dieses Unbehagen herum, indem sie das Kopftuch nicht als religiöses Symbol anerkennt, sondern als „Flagge der Islamisten“ brandmarkt. Mag sein, dass die Grenze zwischen Glauben und Ideologie im Einzelfall nicht immer klar zu ziehen ist: Schwarzer will im Kopftuch nichts als ein Zeichen der Unterdrückung sehen. Was aber, wenn gerade die frommen Eltern alles für die berufliche Fortbildung ihrer Tochter tun?
Bildung sei schließlich für Muslime ein wichtiger Wert, erläuterte die muslimische Referentin Rifaat Lenzin aus Zürich. Zugleich aber geht der Koran von einer grundsätzlichen Differenz der Geschlechter aus, was radikalen Universalisten wenig behagt.
Anschaulich und nüchtern beschrieb Lenzin das Rollenverständnis ihrer Religion, das auch eine emanzipierte Muslimin durchaus in Erklärungsnöte zu bringen vermag. Andererseits seien es in vielen muslimischen Ländern vor allem archaische Konzepte von Ehre und Scham, die frauenfeindliche Folgen zeitigten: Zwangsehe und häusliche Gewalt seien jedenfalls nicht durch den Koran legitimiert.
Lenzin erinnerte aber auch daran, dass der Streit um den Islam vor dem Hintergrund einer jahrhundertealten Auseinandersetzung stattfinde, was die Empfindlichkeit vieler Muslime gegenüber Kritik aus dem Westen erklärt. Doch diese Dimensionen von Rassismus und Postkolonialismus blieben im Verlauf der Tagung ausgeblendet, wie es auch mit Theorien zum Fundamentalismus nicht weit her war.
Für Schwarzer ist der männerbündelnde Islamismus schlicht eine Antwort auf die Frauenemanzipation, mithin vor allem ein „Männerproblem“. Dass er in seiner Affirmation einer entwerteten Männlichkeit – sei es durch Arbeitslosigkeit oder „die Moderne“ – auch Analogien zum Rechtsradikalismus aufweist, haben auch schon andere aufgezeigt. Trotzdem wurde Schwarzer nicht müde, ihre eigene Vorreiterrolle zu betonen: Emma sei die einzige Stimme gewesen, die schon immer vor dem Islamismus gewarnt habe! Wenn das mal nicht Bassam Tibi hört.
Das Niveau der Emma-Kritik zu demonstrieren, blieb der Journalistin Cornelia Filter überlassen: Sie polemisierte gegen jene „interreligiösen Dialoge“, wie sie zwischen Christen und Muslimen in Mode gekommen sind. Doch ihr Vortrag beschränkte sich auf eine reine Aufzählung besonders skandalöser Äußerungen muslimischer Funktionäre, die sie frivol als ihre „Schmankerl“ anpries. Die Antwort auf die eigentliche Frage ihres Referats „Was hat uns der Dialog gebracht?“ blieb die ehemalige Emma-Redakteurin dagegen schuldig.
Überhaupt streiften die meisten Referenten das Tagungsthema allenfalls am Rande. Die algerische Menschenrechtlerin Khalida Messaoudi klagte in einer bewegenden Rede den Westen an, er habe ihr Land nach dem Abbruch der Wahlen 1992 mit dem islamistischen Terror allein gelassen und ihr jahrelanges Leiden ignoriert. Und Johannes von Dohnanyi, Korrespondent der Schweizer Weltwoche, gab eine kurze Einführung in die globalisierte Ökonomie des islamistischen Terrors, der sich unter anderem über Drogenschmuggel und Menschenhandel finanziert. Sein Plädoyer: Deutschland bliebe gar nichts anderes übrig, als geopolitische Verantwortung zu übernehmen.
Lediglich am letzten Tagungstag durfte die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur über das Kuriosum eines islamischen Feminismus berichten, wie er vor allem im Iran blüht. Dort mühen sich Reformerinnen um eine frauenfreundlichere Koran-Auslegung, was dort von immenser politischer und juristischer Bedeutung ist. Das Kopftuch hat für diese Reformerinnen weit mehr als nur strategischen Wert, trifft sie doch damit der Vorwurf der Verwestlichung nicht. Schon das aber ging Alice Schwarzer zu weit, die „Kopftuch“ und „Emanzipation“ lediglich als Gegensatzpaar akzeptieren mag: Mit mütterlicher Herablassung entschuldigte sie die Islamwissenschaftlerin, sie sei wohl zu jung gewesen, um die Gräuel der Revolution aus eigener Anschauung miterlebt zu haben. Wie aber Emanzipation im Kontext eines Entwicklungslandes auszusehen hat, davon schien sie selbst nur eine vage Vorstellung zu haben, jenseits von kulturellen und ökonomischen Faktoren.
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