Zahnärztin am Haken

■ Halbe-Halbe im Streit mit den Knöllchen-Jägern der Polizei oder: Wie man sich gegen die Abschlepp-Gangster wehrt

Scheiß Stadtamt! Jeder normale Mensch würde wegen Diebstahls einschlägig vorbestraft, wenn er einfach ein Auto abschleppen lässt. So ähnlich empfinden wir alle, so muss auch Stefanie G. empfunden haben, als sie an einem schönen Sommertag im Jahre 2000 aus einer Anwaltskanzlei an der Schlachtpforte 2 in ihren blauen Golf steigen wollte. Das Bußgeld zahlte sie noch ohne zu murren. Verwaltungsgebühr, Abschleppgebühr? Njet. Sie klagte vor dem Verwaltungsgericht. Begründung: Sie sei Zahnärztin, in dem Rechtsanwalts-Büro habe sie einen „Notfall“ zu besuchen gehabt, einem der Anwälte sei nämlich ein Zahn abgebrochen und sie sei zu Rate gerufen worden, ob ein Weg in die Kiefernorthopädie unvermeidlich sei.

Als der Fall gestern vor dem Verwaltungsgericht verhandelt wurde, da war die Zahnärztin nicht da. Die Frage des Richters, wer denn da einen Zahn verloren hatte, und wieso die dringende Klärung fast eine Stunde gedauert haben könne, wurde nicht beantwortet. Aus den Akten war zu entnehmen, dass die Zahnärztin behauptete, sie habe ihren Arzt-Ausweis und einen Zettel mit Handy-Nummer unter die Windschutzscheibe gelegt. Davon hatte die Polizei-Angestellte, die das Knöllchen ausgeteilt hatte, damals, nichts bemerkt. Klar sei nur, versicherte sie gestern als Zeugin: Im Jahre 2000 hätte sie nicht die Handy-Nummer angerufen, da dies eine Dienstanweisung damals untersagte. Aber sie hätte in ihrer Zentrale beim Stadtamt informiert. Das hätte er nicht gemacht, versicherte dagegen der Polizei-Mann, der das Abschleppen veranlasste: Arztausweis? „Das kann doch jeder kopieren heutzutage“, sowas sei für ihn irrelevant. „Jeder macht es anders, das liegt auch in unserem Ermessen“, erläuterte die Polizei-Angestellte diesen kleinen Unterschied.

Da die Zahnärztin das Bußgeld bezahlt hatte, ging es auch nur darum, ob die Maßnahme des Abschleppens „verhältnismäßig“ gewesen war. Wenn erkennbar ist, dass der PKW-Halter sich in der Nähe aufhält und mit einem Anruf bei einer Handy-Nummer das Verkehrshindernis zu beseitigen wäre, dann wäre das Abschleppunternehmen „unverhältnismäßig“, stellte der Richter zur Rechtslage fest.

Lag nun ein Zettel unter der Windschutzscheibe oder nicht? Und falls ja – wie groß war er, und was stand darauf? Darüber war nicht letzte Gewissheit herzustellen war nach zwei Jahren, und auch der Anwalt der Zahnärztin, der als „Sitzungsvertreter“ kurzfristig eingesprungen war und eigentlich nicht mehr als die Akte kannte, konnte nicht erklären, warum seine Mandantin dieses entscheidende Beweisstück nicht zur Gerichtsakte gegeben hatte.

So gab es einen Vergleich. Halbe-Halbe schlug der Richter vor. Die Kosten für das Abschleppunternehmen muss die Zahnärztin erstatten, auf die Verwaltungsgebühren verzichtet das Stadtamt.

Bleibt am Ende die Frage, warum niemand aus der Kanzlei, in der die wackere Zahnärztin eine Stunde lang einen Notfall begutachten musste, sie vor Gericht vehement vertrat. Keine Frage: Wenn der betroffene Anwalt, dem ein Zahn fehlte, als Verteidiger seinen Mund aufgemacht hätte, dann wären der guten Frau die Abschleppkosten erspart geblieben. Stattdessen ein Sitzungsvertreter, der im Grunde nichts zur Wahrheitsfindung beitragen kann! Hat die Kanzlei ihre Notfall-Zahnärztin etwa schnöde im Stich gelassen??!

Aber wenn es tiefe Gräben gibt zwischen der Wahrheit und der Aktenlage, dann hat der eilig hinzugezogene „Sitzungsvertreter“, der nichts weiß als die Aktenlage, einen gewissen Vorteil.

Klaus Wolschner