Stasiakten könnten bald zugeklappt sein

Morgen entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im Streit Kohl gegen Birthler, ob die Unterlagen des DDR-Geheimdienstes zugänglich sein sollen

Spitzelvorwürfe, Aufdeckung illegaler Geschäfte mit der DDR – alles Geschichte?

BERLIN taz ■ Das Bundesverwaltungsgericht wird morgen ein Stück Rechtsgeschichte schreiben. Seit zehn Jahren werden Akten der Staatssicherheit, des früheren DDR-Geheimdienstes, über so genannte Personen der Zeitgeschichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Nun muss das oberste Verwaltungsgericht entscheiden, ob diese Praxis Bestand hat.

Immer wieder sind nach der Veröffentlichung von Stasiakten Politiker wie etwa Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe oder PDS-Frontmann Gregor Gysi durch den Vorwurf einer früheren Spitzeltätigkeit für die Stasi in Bedrängnis geraten – am Prinzip der Aktenfreigabe aber wurde bisher nicht gerüttelt. Bis Helmut Kohl kam.

Der frühere Kanzler klagt gegen die im Zuge der CDU-Spendenaffäre drohende Veröffentlichung von Unterlagen. Kohl wendet sich damit gegen eine gesetzliche Regelung, die er als Kanzler der Einheit selbst unterzeichnet hat. Er will vor allem verhindern, dass der Inhalt seiner Telefonate, die die Stasi vor der Wende abgehört hat, heute an die Öffentlichkeit gelangt. Der Exkanzler nimmt für sich in Anspruch, ein „grob rechtsstaatswidrig bespitzeltes Opfer“ der Stasi gewesen zu sein.

In der ersten Instanz errang Kohl vor acht Monaten einen vollen Erfolg. Mit seinem Urteil fegte das Berliner Verwaltungsgericht die langjährige Praxis der Stasi-Nachlassverwalter vom Tisch. Die Mitarbeiter der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, haben seit dem Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Januar 1992 hunderte von Anträgen bearbeitet, in denen Historiker und Journalisten Einsicht in den Stasi-Nachlass begehrten. Aufgedeckt wurde etwa der kurze Draht zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß und dem DDR-Chefdevisenbeschaffer Schalck-Golodkowski. Und nicht wenige westdeutsche Firmen sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, High-Tech-Produkte illegal in die ehemalige DDR geliefert zu haben. Alles Geschichte? Sollte das Verwaltungsgericht Berlin bestätigt werden – ja.

Kohl dürfe verlangen, referierte Richter Volker Markworth im vergangenen Juli, dass keine „personenbezogenen Daten, die über ihn gesammelt wurden und die nicht ausschließlich das (ohnehin bekannte) öffentliche Wirken betreffen, ohne seine Einwilligung veröffentlicht werden“. Der Opferschutz, so Richter Markworth, stehe über dem Interesse der Öffentlichkeit. Dass der Zugang zu Informationen über Personen der Zeitgeschichte für Forschung und Medien damit unmöglich werde, müsse hingenommen werden.

Marianne Birthler hatte nach dem Urteil von einem schweren Rückschlag gesprochen: „Die Gerichtsentscheidung widerspricht sämtlichen einschlägigen Kommentaren zum Stasi-Unterlagen-Gesetz und der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers.“ Die Bundesbeauftragte, deren ganze Behörde bedroht ist, legte Rechtsmittel ein. Wegen der Bedeutung des Verfahrens einigten sich die Juristen Kohls und Birthlers, die Frage dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen.

Die Reaktionen nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts waren geteilt. Bundesinnenminister Otto Schily, ein Intimfeind von Marianne Birthler, freute sich, wie auch der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz, der den Spruch „zwingend richtig“ nannte. Günter Nooke, Fraktionsvize der Union, kritisierte die Gerichtsentscheidung dagegen als Widerspruch zur gewollten Öffnung der Stasi-Archive.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der auch Obmann im Parteispenden-Untersuchungsausschuss ist, sah all diejenigen bestätigt, die nicht verstehen könnten, „dass jemand wie Dr. Kohl sich permanent ungestraft über Recht und Gesetz stellen kann und für den Fall eigener Betroffenheit eine Behandlung jenseits geltenden Rechts für sich in Anspruch nehmen kann“. Genau darüber urteilt morgen das Bundesverwaltungsgericht.

WOLFGANG GAST