: „Historisch gewachsene Werte“
■ Die Bremer FDP äußert Grundsätzliches zu „Kultur im engeren Sinne“ inklusive „Sofortmaßnahme“: Der Kulturbahnhof soll weg
Wenn Politiker grundsätzlich werden, dann sollte man genau aufpassen. Sie könnten Anlauf nehmen, das Publikum auf besondere Bösartigkeiten einzustimmen. „Menschliches Leben und Zusammenleben wird entscheidend durch Kultur geprägt und bestimmt. Kultur hat wesentliche Wurzeln in Kunst, Philosophie und Religion. Diese prägen entscheidend historisch gewachsene Wertvorstellungen.“
Mit diesen bedeutungsschweren Redundanzen beginnt ein Grundsatzpapier der FDP - das läuft am Ende nicht auf den Militäreinsatz in Afghanistan zu, nein, auch nicht auf die Weltkulturerbe-Konferenz der UNESCO, es geht um „Kultur und Politik in Bremen-Nord“. Konkreter und von der FDP nach nur sieben Seiten als „Sofortmaßnahme“ auf den Punkt gebracht. Es geht um eine Disco. In Bremen-Nord. Es ist die einzige Maßnahme, die „sofort“, ginge es nach der FDP, erfolgen muss.
Verwirrend an dem Text zwischen diesen beiden Polen ist, dass hier nicht die geforderte „Disco mit Veranstaltungen und sonstige Verfügbarkeit für Jugendkultur“ stringent aus den gewachsenen Wertvorstellungen von Philosophie und Religion abgeleitet werden, nicht der Körper und seine Verrenkungen als verschränktes Erbe von Kultur und Religion neu entdeckt werden.
Rein pragmatisch könnte man von der Partei der Marktwirtschaft auch eine Betrachtung über die Gründe erwarten, warum die letzte Disco am Bahnhof in Vegesack nach den Regeln der kaufmännischen Kunst scheiterte und ihren Betrieb konsequent einstellte. Nein, die Erfordernis der Disco folgt im Kultur-Papier der FDP nicht aus Angebot und kaufkräftiger Nachfrage, sondern unter der Überschrift „Kultur im engeren Sinne“ kaum 20 Zeilen auf die „herausragende Bedeutung des Kito“.
Wie das? Ganz einfach, man muss das Unaussprechliche, das auch zur Kultur zählt, hinzu denken. Denn die FDP hat schon einen Ort für die Disco: Den bisher für kulturelle Zwecke genutzten „Kulturbahnhof“, kurz: Kuba, das sich selbst für die „zweite“ Kulturadresse neben dem Kito hält. Das Kuba gehört für die FDP aber nicht zu den kulturellen Einrichtungen von „besonderem Gewicht“ in Bremen-Nord, hat das Kuba doch - igitt - „ausschließlich bei sehr populären Unterhaltungsveranstaltungen“ besonderen Publikumszuspruch gefunden.
Ganz anders das Kito! Unter „Kultur“ finden wir in dem FDP-Papier zum Kuba nur den Verkehrslärm, der „sensible kulturelle Ereignisse“ verbiete und geradezu nach Disco-Betrieb und „Probenräumen für junge Bands“ schreie. Wie anders die sensible Ruhe im Kito!
Diese Idee, die unleidige Kultur-Konkurrenz des Kuba verschwinden zu lassen zugunsten einer Disco, hatten jüngst auch die „Jungen Liberalen“ vorgetragen, deren früherer Pressesprecher heute Geschäftsführer des Kito ist.
Politik solle „Rahmenbedingungen für Kulturvermittlung“ schaffen, „dabei hat Politik sich Schiedsrichterfunktionen zu Inhalten zu enthalten“, heißt es an dem sehr allgemeinen kulturvollen Anfang des FDP-Papiers zum kulturvollen „menschlichen Leben und Zusammenleben“ in Bremen-Nord. Das heißt offenbar im Klartext: Pass auf, gleich trete ich dir in die Eier!
Klaus Wolschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen