: Anspruch auf den Tod
Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte streitet die vom Hals ab gelähmte 43-jährige Diane Pretty für das Recht ihres Mannes, ihr beim Sterben zu helfen
STRASSBURG taz ■ Die todkranke Frau im Rollstuhl lächelte. Umringt von Fotografen wurde Diane Pretty gestern in den Saal des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geschoben. Ihr Ehemann Brian Pretty lächelte ebenfalls und posierte für gemeinsame Fotos. Eine gelöste, aber doch beklemmende Atmosphäre. Denn die 43-jährige Britin kämpft in Straßburg für das Recht, selbstbestimmt sterben zu dürfen.
Diane Pretty hat die unheilbare Nerven- und Muskelkrankheit ALS (amyotrophe Lateralsklerose) und ist vom Hals ab gelähmt. Die Ärzte gehen davon aus, dass sie nur noch wenige Monate zu leben hat und der Tod durch Ersticken eintritt, sobald auch die Muskulatur der Atemwege versagt. Auf diesen schmerzvollen und „würdelosen“ Tod will die Engländerin jedoch nicht warten und ihrem Leben selbst ein Ende setzen.
Wegen der Lähmung ist sie dabei aber auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen – dem deshalb eine Haftstrafe von bis zu vierzehn Jahren droht. Alle Versuche, von der britischen Staatsanwaltschaft eine Zusicherung der Straflosigkeit zu erhalten, blieben erfolglos, und auch die britischen Gerichte wollten ihr nicht helfen. Deshalb beruft sich Diane Pretty jetzt auf die Europäische Menschenrechtskonvention, die über nationalem Recht steht.
„Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt“, heißt es in der von mehr als vierzig Staaten unterzeichneten Konvention. Daraus schließt Philip Havers, der Anwalt von Pretty, dass es auch ein Recht zur selbstbestimmten Beendigung des Lebens geben müsse. Außerdem verstoße der englische Staat gegen das Folterverbot, argumentierte der Anwalt, wenn er seine Mandantin einem „schrecklichen Tod“ aussetze.
Der Anwalt der britischen Regierung, Jonathan Crow, drückte gestern zwar sein tiefstes Mitgefühl für Diane Pretty aus, blieb in der Sache aber hart. „Die Konvention schützt das Recht auf Leben, ein Recht auf Freitod gibt sie nicht“, hielt er am Wortlaut des Vertrages fest. Außerdem sei der Staat nicht für Prettys Schmerzen verantwortlich, sondern die Krankheit. Die Klägerin habe allerdings Anspruch auf eine schmerzlindernde Heilbehandlung, die der Staat auch gewähre.
Auch eine Diskriminierung von Pretty konnte der Regierungsvertreter nicht erkennen: „Es ist nun einmal ein fundamentaler Unterschied, ob sich ein Mensch selbst tötet, oder mit Hilfe anderer getötet wird“, sagt Grow. Um alte und verletzliche Menschen zu schützen, halte die Regierung es auch künftig für erforderlich, die Tötung auf Verlangen zu bestrafen.
Hiermit erntete er aber entschiedenen Widerspruch: „Meine Mandantin ist nicht verletzlich“, betonte Anwalt Philip Havers, „sie ist bei klarem Verstand und hat einen festen Willen.“ Die siebenköpfige Kammer unter dem finnischen Richter Matti Pellonpää will bereits in den kommenden Wochen ihr Urteil verkünden. Pretty argumentierte zwar vor allem mit ihrem Einzelschicksal, doch wenn sie Erfolg hat, wäre dies ein Präzedenzfall für alle europäischen Staaten und es gäbe plötzlich ein Recht auf Sterbehilfe. Vermutlich werden die Richter aber entscheiden, dass die Konvention den Staaten keine eindeutige Lösung dieser schwierigen ethischen Fragen vorgibt. In Deutschland ist – anders als in England – zwar die Beihilfe zum Selbstmord straflos, aber die Tötung auf Verlangen (Sterbehilfe) strafbar.CHRISTIAN RATH
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