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Verzichten für den Frieden

Gerade in der jetzigen katastrophalen Situation kann die Befriedung des Nahen Ostens gelingen – wenn Israelis und Palästinenser auf unrealistische Forderungen verzichten

Auf die Dauer kann Israel weit über drei Millionen Palästinenser nicht gegen ihren Willen beherrschen

Es geschah am vergangenen Dienstag: Wenige Stunden nachdem die politische Führung der Palästinenser sich bereit erklärt hatte, die Bedingungen des so genannten Tenet-Plans für eine Waffenruhe mit Israel zu erfüllen, sprengte ein Mitglied der Organisation Islamischer Dschihad sich und sieben weitere Menschen in einem Bus in die Luft. Das Attentat war besonders tragisch, weil unter den Opfern des palästinensischen Terroristen auch israelische Palästinenser waren. Und weil es den gerade eben erst wieder angelaufenen Friedensprozess gefährdet.

Noch gilt das Angebot des amerikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney, in der kommenden Woche den palästinensischen Regierungschef zu treffen – unter der Bedingung, dass Jassir Arafat seine im Tenet-Plan definierten Verpflichtungen erfüllt. Noch ist geplant, dass der oberste israelisch-palästinensische Sicherheitsausschuss unter dem Vorsitz des US-Vermittlers General Anthony Zinni in den nächsten Tagen wieder tagt, um einen gemeinsamen Aufruf zur Waffenruhe vorzubereiten. Die Zeit drängt: Es besteht die Gefahr, dass ein Terrorist aus den Reihen der Hamas oder des Islamischen Dschihads versucht, alle Bemühung zur Beruhigung der Lage zu sabotieren.

US-Präsident George W. Bush hat lange gezögert, seinen Nahostvermittler Zinni wieder in das Krisengebiet Jerusalem–Ramallah–Gaza zu entsenden. Schon zweimal waren dort US-Friedensmissionen gescheitert. Vergangene Woche kam dann endlich die Entscheidung zu Zinnis Entsendung – überraschend und schnell. Zumal der US-Vermittler dieses Mal längere Zeit verweilen soll. Denn Dick Cheney, der entscheidende Mann in der Bush-Regierung, betonte öffentlich, dass die USA die Absicht haben, von jetzt an bei der Suche nach einer Lösung des Nahostkonflikts sehr aktiv tätig zu bleiben.

Es ist höchste Zeit. Nach dem 11. September 2001 hatte Washington Israels Premier Ariel Scharon fast freie Hand beim Umgang mit den Terrorangriffen der Palästinenser gegeben. Für die USA hatten der Krieg in Afghanistan Priorität. Doch während die Amerikaner versuchten, die alte Koalition gegen Saddam Hussein im arabischen Nahen Osten wieder aufzubauen, wurde ihnen immer wieder beschieden, sie sollten erst mal die Palästinenser von der seit 35 Jahren andauernden israelischen Besatzung befreien. Am deutlichsten hatte das Cheney in der vergangenen Woche auf seiner Tour durch Saudi-Arabien und die Golfstaaten zu hören bekommen: Er musste sich mehr mit Israel und den Palästinensern als mit dem Irak befassen.

Es ist also nicht verwunderlich, das Washington gerade jetzt einen neuen Ton gegenüber Israel anschlägt. Der amerikanische Botschafter in Israel, Dan Kurtzer, sprach es diese Woche aus – im kleinen Rahmen, aber ganz öffentlich und überdeutlich: Der Besuch von Vizepräsident Cheney und die Rückkehr von General Zinni seien Resultat eines erheblichen Drucks, den die USA aufgebaut hätten, um Israel zum Rückzug aus dem Autonomiegebiet zu bewegen. Auch sprechen die USA zum ersten Mal offen von der „Vision eines palästinensischen Staates an Israels Seite“.

Die Palästinenser sehen im Rückzug der israelischen Truppen aus dem Autonomiegebiet einen großer Erfolg. Sie haben bewiesen, dass auch eine hochmoderne und hervorragend ausgestattete Armee weder einen Volksaufstand noch eine Guerilla-Kriegsführung wirklich unterdrücken kann. Der Gebrauch von übermäßiger Gewalt bedeutet oft Schwäche und erzielt noch öfter das Gegenteil des gewünschten Effekts. Das ist eine der historischen Lehren, die sich Israels Generäle und Politiker zu Herzen nehmen sollten.

Arafat kann die Palästinenser nur zur Waffenruhe verpflichten, wenn er echte Erfolge versprechen kann

Für Israel waren die Militäraktionen der letzten zwei, drei Wochen die größte militärische Aktion der vergangenen 20 Jahre – seit dem unglücklichen Libanonkrieg von 1982, den der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon geplant und geführt hat. Zwei Divisionen mit über 20.000 Soldaten waren damals an einem Anti-Guerilla-Feldzug beteiligt. Die Bilder der israelischen Streitkräfte, die Wohnungswände durchbrechen, um in den engen Gassen der palästinensischen Flüchtlingslager operieren zu können, erinnerten sehr an den berühmten Film „Der Kampf um Algier“. Die damaligen Straßenkämpfe in der algerischen Hauptstadt waren der Anfang vom Ende der französischen Vorherrschaft.

Angesichts der neuen Situation mussten Israels Premier Scharon und der rechte Flügel seiner Regierung in den vergangenen Wochen viel Kreide fressen. Der angeblich „nicht relevante“ Herr Arafat wurde viel relevanter als je zuvor. Sein Gegenspieler Scharon hingegen musste in seiner Pressekonferenz mit Cheney offiziell zusichern, dass Arafat in der kommenden Woche am arabischen Gipfel in Beirut teilnehmen kann – unter der Voraussetzung, dass die Bedingung des Tenet-Plans erfüllt werden. Zudem führt Israel nun auch formell Verhandlungen mit den Palästinensern – auch ohne sieben Tage Waffenruhe, auf die Scharon bisher bestanden hatte.

In den Augen der Palästinenser hat der Terror politische Erfolge gebracht. Zudem haben Israels massive Militäraktionen die Extremisten der Hamas, des Islamischen Dschihads und der PFLP zumindest taktisch mit den Hauptkampfverbänden der Fatah und der Tansim zusammengebracht. Sogar wenn Arafat jetzt wirklich bereit wäre, zukünftig im besten Clausewitz’schen Sinne militärische Gewalt von Diplomatie zu trennen: Es wird ihm sehr schwer fallen, alle militärischen Verbände der Palästinenser zu einer echten Waffenruhe zu verpflichten. Die einzige realistische Möglichkeit ist, dass Arafat ihnen echte politische Erfolge in baldigen Verhandlungen mit Israel und den USA versprechen kann. Das jedoch scheint mit Scharon kaum möglich.

Das traurigste Resultat der Kämpfe der letzten 18 Monate ist, dass der palästinensische Terror das Friedenslager in Israel erheblich geschwächt hat. Bei den nächsten Wahlen werden die Rechtsparteien höchstwahrscheinlich die absolute Mehrheit gewinnen. Sogar bekannte Friedensaktivisten halten heute schon den Gedanken an einen echten Frieden für eine Illusion. Stattdessen sprechen sie davon, den Nahost-Konflikt irgendwie zu managen – vielleicht auch mit einem einseitigen Rückzug aus einem erheblichen Teil der besetzten Gebiete. Und tatsächlich wäre es schon ein kleines Licht am Ende des Tunnels, wenn sich die Sicherheitslage wirklich beruhigen würde.

Noch ist nicht alles verloren. Vielleicht ist die neue saudische Friedensinitiative ein gutes Omen – und auch der Glauben an eine gemeinsame Friedenslösung für zwei Staaten, wie sie Professor Sari Nusseibeh, Arafats Beauftragter für Jerusalem, wiederholt offen und tapfer ausgesprochen hat. Nusseibeh wagt es auch, den Palästinensern offen zu sagen, dass die Forderung nach einem Recht der Flüchtlinge auf eine Rückkehr in den heutigen Staat Israel vollkommen unrealistisch und unerreichbar ist. Stattdessen sollten sie im zukünftigen Staat Palästina aufgenommen werden oder erhebliche Entschädigungen erhalten. Eine kleine Anzahl könnte mit Israels Einverständnis zu ihren Familien zurückkehren. Damit hat dieser führende Intellektuelle der Palästinenser und Präsident der Al-Kuds-Universität in Jerusalem die wichtigste Sorgen der durchschnittlichen Israelis endlich einmal angesprochen.

Die USA sprechen zum ersten Mal offen von der „Vision eines palästinensischen Staates an Israels Seite“

Eines ist sicher: Eine Verlängerung des Status quo ist der größte Feind Israels. In zehn Jahren werden im ehemaligen britischen Mandatsgebiet zwischen dem Jordanfluss und dem Mittelmeer die Araber in den Autonomiegebieten und die palästinensisch-arabischen Bürger des Staates Israel die Mehrheit stellen. Das wissen auch die Palästinenser. Trotz aller bitteren Erfahrung sollte man angesichts dessen versuchen, das zerstörte gegenseitige Vertrauen langsam wieder aufzubauen und sich mit einem kleineren Israel zu begnügen – mehr oder weniger in den Grenzen von 1967 und ohne die allermeisten Siedlungen. Denn es ist undenkbar, dass es Israel gelingt, auf die Dauer weit über drei Millionen Palästinenser gegen ihren Willen zu beherrschen.

Das ist auch der Gedanke hinter dem Friedensplan des saudischen Kronprinzen Abdullah, der in der kommenden Woche beim arabischen Gipfel in Beirut verabschiedet werden soll. Die Anerkennung Israels von der Mehrzahl der arabischen Staaten war seit der Gründung Israels vor 54 Jahren immer ein Hoffnungstraum des jüdischen Staates. Vielleicht könnte man diesen Traum gerade in der jetzigen katastrophalen Situation endlich verwirklichen – durch einen Verzicht beider Seiten. ARI RATH

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