: Ziel: Wettbewerbsvorteil
In Diversity-Schulungen sollen Manager lernen, die Betriebsstrukturen durch die Erschließung des „weiblichen Humankapitals“ zu optimieren. Die Bilanzen, so die Botschaft, werden es ihnen danken
von SYLVIA MEISE
Nicht Gerechtigkeit, nicht Feminismus, sondern ausgerechnet Globalisierung könnte zum neuen Motor der Gleichstellung werden. BetriebswirtschaftlerInnen jedenfalls sehen derzeit zwei Chancen für Frauen, in bessere Positionen aufzurücken: Führungskräftemangel und vielfältig zusammengesetzte Kundschaft. In Referaten und Vorträgen fordern sie die „Erschließung weiblichen Humankapitals“. Etwas schlichter ausgedrückt, sollen Frauen als marktfähiges „Potenzial“ das nutzen, wofür man sie vor zehn Jahren im Berufsleben noch belächelt hat: ihre sozialen Kompetenzen. Das passende amerikanische Konzept dazu trägt den Namen diversity, Vielfalt.
In den USA soll die Vielfaltsstrategie vorrangig für gutes Klima unter multiethnischen Arbeitnehmern sorgen, in Deutschland geht es eher um Frauenförderung. In beiden Fällen aber zielt das Instrument auf die Ausräumung von Vorurteilen, und das braucht Zeit. Wenn durch die neue Strategie eingefahrene Strukturen aufbrächen, wäre das ein großer Erfolg. Allerdings sind derartige Programme für die breite Masse mittelständischer Betriebe zumeist nicht umsetzbar. Mitarbeiterschulungen und Gleichstellungsabteilungen können sich in der Regel nur Großunternehmen leisten.
Vorurteile oder Stereotype sind wie Schmieröl für eine Gesellschaft. Darunter besonders robust: die Geschlechterstereotype. Die Münchener Psychologin Nathalie Klingen schreibt in ihrer Studie „Geschlecht und Führungsstruktur“ (R. Hampp Verlag, München 2001, 240 Seiten, 24,80 Euro) von einem Experiment, in dem Versuchsteilnehmer der Meinung waren, keine Vorurteile dem jeweils anderen Geschlecht gegenüber zu haben. Es zeigte sich aber, dass sie – unbewusst, aber durch Gesichtsausdruck und Körpersprache sichtbar – negativ auf selbstbewusstes Auftreten von Frauen reagierten. Klingen fasst zusammen: Bei gleichem Führungsverhalten wird Männern generell mehr Kompetenz und Intelligenz zugesprochen. Weibliche Führer dagegen wurden als „zu emotional“ bewertet und außerdem negativ als „bossy und dominant“ charakterisiert.
Und das, obwohl das gesellschaftliche Bild der berufstätigen Frau sich radikal gewandelt hat. In den Sechziger- und Siebzigerjahren nämlich, so Klingen, habe man ihnen noch die Attribute lieb, nett, fürsorglich, loyal und mütterlich zugeordnet. Seit den Neunzigerjahren jedoch würden sie so charakterisiert: Frauen, „die kraft ihrer Entschlossenheit und Entscheidungsfähigkeit in der Lage sind, für ihren Erfolg zu kämpfen“. Nur bis in deutsche Führungsetagen scheint das Bild solcher Powerfrauen kaum vorzudringen.
Die Idee, nicht die Mitarbeiter, sondern die Organisationsstruktur zu ändern, ist gut. Zweischneidig aber, eine ethisch-moralische Überzeugung als Verpackungsmaterial für betriebswirtschaftliche Ziele zu nutzen. Es geht ja nicht vorrangig um die Anerkennung der Vielfalt, sondern um den Wettbewerbsvorteil. Der Vielfalt der Mitarbeiter wird die Vielfalt der Kunden gegenübergestellt. Gemischte Teams, so die Vorstellung, werden mit ihrer Produktionsentwicklung den potenziellen Käufern eher gerecht. Aus der Hoffnung heraus, Frauen könnten mit Intuition, Team- und Kommunikationsfähigkeit flexibler auf die sich ständig verändernden Märkte reagieren, wird die Kröte Gleichstellung geschluckt.
Wo sind sie eigentlich, die Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Beruf? Vernetztes weibliches kontra lineares männliches Denken. Vernetzte Hierarchiestruktur der Frauen kontra Dominanzhierarchie der Männer. So weit die Grundlagen. Soziobiologen und Entwicklungspsychologen haben dazu Unmengen an Studien und Thesen produziert. Unabhängig davon, welche Erklärungsvariante man vorzieht, das Ergebnis lautet unisono: Männer fühlen sich am wohlsten und sind am motiviertesten in einer Dominanzhierchie, während Frauen offene, demokratische Strukturen vorziehen. Beiden seit dem Kindergartenalter vertraut. Den Jungs die einverständlich ausgeraufte, über Jahre hinweg stabile „Dominanz- und Unterwerfungsordnung“, den Mädchen die fließende „Geltungshierarchie“ – also Zickengehabe mit wechselnder Girliespitze.
Diversity hat nicht die potenziell Diskriminierten als Mängelwesen im Blick, sondern den gesamten Unternehmenszusammenhang. Das unterscheidet das Konzept von früheren Modellen. Dabei konzentriert sich die Maßnahme zunächst auf die Männer der Führungsriege – diesen ihre eigenen Vorurteile aufzuzeigen ist allein schon eine Herausforderung für die Leiter der Diversity-Trainingskurse. Die Machtfrage ist der Knackpunkt zwischen Männern und Frauen. Es sind noch immer fast unangefochten und ausschließlich Männer, die prestigeträchtige und höchstdotierte Jobs für sich reklamieren. Siehe Angela Merkel, siehe Dagmar Reim, die als Nachfolgerin für die ZDF-Intendanz vorgeschlagen war und die Kandidatur wieder zurückzog. Nicht nur beim ZDF gibt es stabile Machthierarchien und Freundeskreise. Wer nach oben will, braucht nicht nur Mentoren, sondern muss dem Arbeitgeber 150-prozentig zur Verfügung stehen.
Nach den Erfahrungen der Frankfurter Headhunterin Marie-Luise Müller gibt es nicht viele Frauen, denen ein solches Jobprofil zusagt. Die Sechzigjährige bedauert, nicht mehr Frauen vermitteln zu können: „Ich habe immer wieder erlebt, dass Frauen, denen verantwortungsvolle Positionen angeboten wurden, einen Rückzieher gemacht haben.“ Müller kritisiert Frauen, die nicht allein am Topgehalt interessiert sind: „Warum bewerben die sich überhaupt? Man kann nicht viel Zeit für die Familie haben wollen und die Führungsposition dazu.“ Offenbar aber wollen Frauen genau das.
Nur passt ihnen vielleicht nicht, was der Arbeitsalltag zu bieten hat. In Studien zeigt sich immer wieder, dass der Arbeitstag mit unterschwelligen Vorurteilen gespickt ist, und dass es „eine erhebliche Diskrepanz zwischen den gewünschten weichen Werten und ihrer tatsächlichen Verbreitung“ gibt. Die Erwartungshaltung der Kollegen zwingt Frauen in eine unangenehme Situation: Sie sollen fachfit sein in ihrem Beruf, sich aber gleichzeitig benehmen „wie eine Frau“, sprich: bisschen nett aussehen, sich ums soziale Klima kümmern. Unternehmensberaterin Gertrud Höhler beschreibt die Lippenbekenntnisse der Männer in Sachen Gleichberechtigung folgendermaßen: „Klar könnt ihr mitspielen, sagen die großen Jungs, aber lest erst mal die Spielregeln – und heult nicht, wenn ihr verliert.“
Während Nathalie Klingen aus den Ergebnissen der Führungsforschung schließt, dass Frauen die Spielregeln der Macht weniger gut beherrschen als Männer, geht aus der Studie „Frauen im Management“ von Rolf Wunderer und Petra Dick (Luchterhand, Neuwied 1997, 476 Seiten, 52 Euro) das Gegenteil hervor: Weibliche Führungskräfte, heißt es dort, „sind machtpolitisch nicht naiv“. Der Studie zufolge wissen Frauen sehr wohl, dass sie ihre Beziehungen und Kontakte pflegen müssen, um weiterzukommen. Der Machtübernahme entgegen steht vielleicht ein anderer Punkt, den die Forscher herausgefunden haben: Frauen wollen Geld verdienen und Karriere machen – aber nicht um jeden Preis.
Der kleine Verhaltensunterschied im Job liest sich in der Studie so: Männern sind Status und Einkommen am wichtigsten, Frauen hingegen kommt es mehr auf Sinnerfüllung und Freude an der Arbeit an. Klingen fand zudem heraus, dass sich Frauen erst dann selbst als berechtigte Führerin fühlen, wenn das gesamte Team gute Leistung bringt und ein angenehmes Arbeitsklima herrscht. Das heißt auch, dass Frauen zugunsten des Gesamterfolgs die Führung abzugeben bereit sind.
An diesem Punkt tut sich das schwarze Loch der Führungsfrauen auf. Sind sie nicht hartnäckig genug, um dem Unternehmen die ersehnten soft skills zu liefern? Nein, es sind umgekehrt die Unternehmens- und Gesellschaftsstrukturen, die noch nicht reif sind für geschlechterunabhängig verteilte Macht. Dass dies zulasten der Frauen geht, störte bisher nur Frauen. Wenn Diversity nun aber aufzeigt, dass eine Männermonokultur an der Spitze sich störend auf die Bilanz auswirkt, könnte das tatsächlich eine Chance für mehr Vielfalt sein.
SYLVIA MEISE, 40, lebt als freie Autorin in Frankfurt am Main
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