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Brillante Analysen und Fehleinschätzungen

Seit seinen Erinnerungen an die Weimarer Republik ist Sebastian Haffner so populär wie nie – zu Recht. Es lohnt sich immer, seine Bücher zu lesen

Die Haffner-Welle rollt und rollt. Buch um Buch wird auf den Markt geworfen, Bekanntes und bisher Unbekanntes kunterbunt durcheinander. Das hat sein Gutes, denn es lohnt sich immer, Sebastian Haffner zu lesen. Trotzdem ist Vorsicht geboten: Gerade das, was an ihm so fasziniert, verschwindet manchmal hinter dem Weihrauch, der die Haffneriana umweht. Haffner war stets ein Meister des Augenblicks, der provokanten Pointe, auch der brillanten Fehleinschätzung. Das macht seine Bücher unverwechselbar, unterwirft sie aber auch einer Vergänglichkeit, derer sich der Autor nicht geschämt hätte. Diese Souveränität fehlt den Verlagen leider allzu oft.

So hat der Kindler Verlag Haffners Churchill-Essay von 1967 neu herausgebracht, jedoch mit bedauerlichen Veränderungen. Was als schlanke, aber reich illustrierte rororo-Bildmonographie konzipiert war, trägt nun gediegenes Hardcover und den gewichtigen Untertitel „Eine Biographie“. Das aber wollte Haffners Büchlein niemals sein. Es bietet kein erschöpfendes Panorama von Leben und Werk, sondern konzentriert sich auf Churchills Psychologie, auf dessen Außenseitertum in der politischen Elite Englands und die Art, wie daraus Triumph und Tragik des charismatischen Multitalents entstehen.

Haffners Churchill verlässt die männerbündische Prügelhölle englischer Privatschulen als unangepasste Kämpfernatur, als ebenso egozentrischer wie romantischer Abenteurer. Der begeisterte Krieger geht sowohl die parlamentarische Politik als auch das technokratische Waffenhandwerk des 20. Jahrhunderts mit napoleonischer Attitüde an und scheitert daran immer wieder. Die Schlüsselfiguren der britischen Politik zwischen 1908 und 1937 verstehen es, Churchill zugleich einzuspannen und auszubremsen, bis er sich zu Beginn der 30er selbst isoliert durch seinen rabiaten Antikommunismus, seinen Imperialismus und seinen Antihitlerismus – nicht zu verwechseln mit Antifaschismus. In diesen Jahren gilt Churchill nur als reaktionärer Kriegstreiber.

Es ist die neue psychologische Situation, die den Ausschlag gibt und Churchill 1940 ans Ruder bringt. Er hatte vor Hitler gewarnt, er ist der Krieger, und jetzt führt man Krieg gegen Hitler. Die Zeit zwischen Juni 1940 und Dezember 1941, von Frankreichs Niederlage bis zum Kriegseintritt der USA, ist Churchills welthistorischer Moment. Sein Kampfeswille treibt eine Nation zum Durchhalten, in deren Interesse eigentlich ein Arrangement mit Hitler gelegen hätte. Tragisch opfert Churchill dem Sieg über Hitler, was er am meisten liebt: Englands Weltmacht. Noch während des Krieges erlebt Churchill ohnmächtig, wie Stalin und Roosevelt Europa unter sich aufteilen. All dies schildert Haffner zupackend, skizzenhaft und ohne Furcht vor dem Klischee. Er scheut sich nicht zu erläutern, wie die Engländer an sich so sind, und warum der geniale Churchill nicht zu ihnen passte.

Allerdings hätte ein einleitender Essay dem Band gut getan, denn einerseits hat sich seit der Erstausgabe in Britannien gesellschaftlich wie politisch einiges verändert, andererseits sehen die Historiker heute manchen Churchill-Mythos nüchterner. Traurig ist zudem, dass viele der Abbildungen ersetzt oder ganz gestrichen wurden. Jetzt können wir zwar Churchill neben Charlie Chaplin sehen, aber verschwunden sind die ungemein charakteristischen Fotos von Männern wie Asquith, Baldwin oder Chamberlain, die Haffners scharfe Porträts ergänzten.

Dass man mit Haffner auch behutsamer umgehen kann, zeigt das kleine Buch „Schreiben für die Freiheit“, eine Sammlung von erstmals übersetzten Kommentaren, die Haffner als politischer Redakteur bei der Londoner Wochenzeitung Observer zwischen 1942 und 1949 schrieb. Hier spürt man Haffners Zeitgebundenheit unmittelbar, wenn er über die Führung des Dritten Reiches spekuliert oder über die Zukunft Deutschlands nachdenkt. Gerade weil man weiß, dass vieles ganz anders gekommen ist, bewundert man die Brillanz seiner Analysen. Man lernt ihn als hochsensiblen Beobachter und engagierten Kommentator schätzen und braucht ihn nicht als allwissendes Geschichtsorakel zu verklären. Es ist letztlich auch die Unvollkommenheit des Zeitzeugen, die Haffner so interessant macht.

ANDREW JAMES JOHNSTON

Sebastian Haffner: „Churchill. Eine Biographie“, 208 Seiten, Kindler Verlag, Berlin 2001, 17,50 €ĽSebastian Haffner: „Schreiben für die Freiheit. 1942–1949“, 232 Seiten, Transit Verlag, Berlin 2001,16,80 €

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