: Die Fabrik als Universität
In „Der Fliegerblick“ erzählt der Historiker Detlef Siegfried die Geschichte der Junkers Flugzeugwerke in Dessau in den 20ern und wie der Traum von der Versöhnung von Kunst und Technik Bauhaus-Intellektuelle mit NS-Gewerkschaftern vereinte
von ERHARD SCHÜTZ
Als die russische Reporterin Larissa Reissner 1925 jene industriellen Zentren aufspüren wollte, die das damalige Deutschland bestimmten, da besuchte sie neben Krupp in Essen auch Junkers in Dessau. Nicht dem bewährten Badeofen galt ihr Interesse, sondern dem, was mit seinen Gewinnen finanziert wurde: der Flugzeugkonstruktion. Und dies nicht nur, weil Junkers rückhaltlos auf die zivile Luftfahrt setzte, nachdem den Deutschen in Versailles die Kriegsfliegerei verboten worden war, weil sein Werk, wie Henry Ford kopfschüttelnd, Larissa Reissner aber enthusiastisch vermerkte, eher einer Universität als einer Fabrik glich, sondern weil Fliegen das Faszinosum der Zeit überhaupt war, jenseits aller politischen Lager.
Junkers war zudem besonders. Er hatte, was Reissner faszinierte, das „komische Kästchen aus Segelstoff, Drähten und Brettchen“ ersetzt durch die aerodynamisch konstruierte Maschine aus Ganzmetall. Ideale Inkorporation der Zeit: funktional, sachlich, rational, effizient. Metall: Stahl, das war bolschewistisch, schwere Ideologie, Junkers’ Duraluminium aber leicht und intelligent. Ja, Junkers schien ihr auf dem Weg der Entkörperung. „Die Zukunft gehört dem Gehirn“ – befand sie. Und das liege im Nurflügelflugzeug, an dem man in Dessau konstruiere: „Alles – der ganze Mechanismus, sogar die Passagiere – ist in den Tragflächen eingeschlossen.“
Der Nurflügler faszinierte auch beim Bauhaus, das eben 1925 nach Dessau gezogen kam. Beim Einzug schon hatte Feininger sich für die „gewaltigen Junkersflugzeuge“ begeistert. Und Walter Gropius krönte einen Aufsatz über Techniker und Künstler programmatisch mit dem Modell eines Nurflüglers.
Junkers und das Bauhaus nahmen Kontakt auf, in Sachen Metallhausbau, doch die Kooperation kam nicht zustande. Junkers war als „Fabrik für Neuerungen“ dem Bauhaus an Effizienz überlegen. Zudem hielt er darauf, nicht mit dessen Ruf als „kulturbolschewistisch“ in Verbindung gebracht zu werden. Vor allem aber war für die Bauhausler das Flugzeug Ornament, nämlich Sinnbild ihrer Konzeption, für Junkers aber war es Grundlage und Ziel gleichermaßen. Immerhin stellte Junkers noch 1929 ein Flugzeug zur Verfügung, damit die Studenten dem flugbegeisterten Paul Klee zum 50. Geburtstag ein Geschenk aus der Luft machen konnten.
Schon Nähe und Distanz der beiden Institutionen, wozu noch viel mehr zu sagen wäre, rücken nicht nur in zeitgenössischer, sondern auch in historischer Perspektive Junkers ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Denn in einer zunächst zufällig und insular erscheinenden Konstellation drängten sich die widersprüchlichen Zeitverhältnisse hier besonders dicht. Das lehrt jedenfalls „Der Fliegerblick“, den der Kopenhagener Historiker Detlef Siegfried auf die Geschichte von Junkers geworfen hat. Es ist so recht kein Fliegerblick, wenn der bedeutet, die große Perspektive von oben zu überfliegen: Wie Siegfried geduldig aus den Akten gearbeitet hat, das Geflecht der Akteure, die Konstellation der unterschiedlichen Kräfte in immer neuen Schichten auslegt und entwirrt, entspricht eher der Sorgfalt des Bordmechanikers.
Gleichwohl erlaubt er sich ab und an Kontrollflüge, geleitet von Ulrich Herberts Studien zu Best und der Generation der Sachlichkeit einerseits, Christoph Asendorfs Arbeit zu Flugzeug und Raumrevolution andererseits. Und darin konturiert sich das System Junkers als eine bizarre Zeitmaschine. Zu der gehört zwar auch, wie Siegfried zeigt, die Konstellation von Flugzeugfabrik und Bauhaus, entschiedener aber noch jene Phase von 1929 bis 1933, in dem eine Gruppe linksradikaler, bohemistischer, quartalssaufender Intellektueller das Vertrauen des begeisterten Erfinders und unwilligen Fabrikherren fand, in Kollision mit dem stramm rechten Management ehemaliger Weltkriegsoffiziere geriet und schließlich die Macht übernahm.
Ein wahrlich filmreifes Stück, das sich nicht nur annähernd hererzählen lässt – wie nämlich Peter Drömmer, ein expressionistischer Maler, der zum neusachlichen Industriedesigner konvertierte, Richard Blunck, ein irrlichternder Schriftsteller und späterer Junkers-Biograf, und Adolf Dethmann, ein promovierter Staatswissenschaftler, KAPD-Funktionär und Wirtschaftslandsknecht, Manager für Gusseisen, Hühneraugenmittel und Bier, sich mit Begeisterung in die Produktion einarbeiteten, das Corporate Design und die Public Relations optimal entwickelten und unter schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen 1929 die Konzernspitze übernahmen. Alles andere als Fachleute, entwickelten sie umfassende Gesellschafts- und Zukunftsvorstellungen zugleich mit erfolgreichen Anstrengungen zur Rationalisierung, effizienteren Produktion und wirtschaftlichen Sanierung.
Dabei kam es zu einer mehr als aparten Zangenbewegung: Die Linksradikalen von oben verbündeten sich mit der jungen NS-Betriebsorganisation von unten. Auf der Strecke blieben unten die alten Sozialdemokraten, oben die ehedem Militärs. Die Koalition des von ihnen geschickt als geniales Erfinderindividuum vermarkteten Junkers mit den jungen Radikalen, die ihm den Rücken sowohl gegen allzu weitgehende Wirtschaftlichkeitsforderungen der Massenproduktion, aber auch gegen den militärisch-politischen Zugriff freizuhalten schienen, funktionierte. Wo die Militärs immer offener chauvinistische Linien ausgezogen hatten, propagierten die jungradikalen Manager – wirksam – das Bild der Junkers-Flugzeuge als „ziviler Kulturbringer“ und alsbald siegreicher Konkurrenz gegenüber Amerika, Garant zukünftiger Vormachtstellung in der Luft wie seinerzeit die Englands in der Seefahrt. Kurz, das Flugzeug ein herrlicher Metallvogel, Wappentier des wieder erstarkenden deutschen Volkes.
Die Probe darauf, wie kompatibel ihre Effizienz mit dem NS-Staat gewesen wäre, blieb ihnen erspart: Unmittelbar nach Machtantritt der Nazis wurden sie unter dem Vorwurf des Landesverrates und der kommunistischen Verschwörung inhaftiert, auch der ehrgeizige Nazi-Gewerkschafter übrigens. Junkers, unter Druck gesetzt, gab im Herbst die Aktienmehrheit ans Reich ab. Danach wurden die Herren freigelassen. Und schon 1936 begann das, was auf einschlägigen Homepages als „erste Bewährungsprobe der jungen deutschen Luftwaffe“ verklärt zu werden pflegt: Einsatz der Ju 87, der Sturzkampf gegen die spanische Republik.
Detlef Siegfried: „Der Fliegerblick.Intellektuelle, Radikalismus undFlugzeugproduktion bei Junkers 1914 bis 1934“. J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2001, 335 Seiten, 30 €
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